Zwischen Uran und Urkunde – die explosive Geschichte von Ellweiler

Mitten im Hunsrück, zwischen dichtem Wald, sanften Hügeln und klaren Bächen, liegt ein Dorf, das still und friedlich wirkt – aber mehr Geschichte auf dem Buckel hat als viele denken: Ellweiler. Nur einen Katzensprung entfernt von der Kreisstadt Birkenfeld, kaum fünf Minuten vom zweitgrößten Ort der Verbandsgemeinde – Brücken – entfernt, liegt Ellweiler im Herzen des Trauntals. Was wie ein verträumter Fleck Natur wirkt, war einst Knotenpunkt europäischer Machtspiele – und sogar Schauplatz nuklearer Industriepolitik.

Ein Ort mit knapp 340 Einwohnern – und doch voller Geschichten, Umbrüche und Eigenwilligkeit. Wer verstehen will, warum man sich hier nicht klein macht, sondern gerade auf die eigene Größe stolz ist, muss eintauchen in die explosive Geschichte eines kleinen, unbeirrbaren Hunsrück-Dorfs.


Die ersten Spuren: Ellweiler auf mittelalterlichem Parkett

Der Name Ellweiler taucht bereits im 12. Jahrhundert in einer Urkunde des Klosters Tholey auf – als „Elwilre“. Ob es sich zweifelsfrei um das heutige Ellweiler handelt, bleibt unter Historikern umstritten. Doch klar ist: Das Suffix „-weiler“ verrät eine Siedlungsstruktur mit Wurzeln in der fränkischen Zeit. Ellweiler entstand vermutlich als kleiner Weiler auf einer Flur, benannt nach einer Person oder Lage. Früh, bäuerlich, bodenständig – typisch Hunsrück eben.

Damals gehörte das Gebiet dem mächtigen Kurfürstentum Trier. Die Erzbischöfe vergaben das Dorf als Lehen an Adelige oder Ministeriale. Später, ab 1480, übernahmen die Wittelsbacher Herzöge von Pfalz-Zweibrücken das Zepter. Die Reformation hielt Einzug, und Ellweiler wurde protestantisch – eine Prägung, die bis heute geblieben ist.


Von Bauern, Barrikaden und Birkenfelder Rebellen

Die Jahrhunderte vergingen, das Dorf blieb klein, das Leben einfach. Bauern bestellten Felder, kümmerten sich um Vieh, Holz und Mühlen. Doch Ellweiler war nie ein Ort, der sich alles gefallen ließ. Als nach der Französischen Revolution das linksrheinische Gebiet unter französische Kontrolle kam, wehte auch in Ellweiler ein neuer Wind. Verwaltung, Sprache, Rechtssystem – alles wurde auf den Kopf gestellt.

Nach dem Sturz Napoleons kam dann die große Überraschung: Ellweiler fiel an das Großherzogtum Oldenburg, obwohl es hunderte Kilometer entfernt lag. Die Region wurde zur oldenburgischen Exklave – verwaltet aus dem hohen Norden, gelebt im Hunsrück. Kurios, bürokratisch und der Beginn einer besonderen Identität.

1919 dann der große Moment: Einige Ellweilerer riefen gemeinsam mit Birkenfelder Bürgern die „Republik Birkenfeld“ aus – in der Dorfkneipe. Grund war die Unzufriedenheit mit Oldenburg. Die Parole lautete: „Lieber Franzos als Oldenburger!“ – ein selbstbewusster Aufstand im Kleinen. Auch ein Antrag auf Anschluss ans Saargebiet wurde gestellt. Revolution lag in der Luft – aber das Amt blieb oldenburgisch.


Ellweiler und das Atomzeitalter – ein Hunsrückdorf im Weltgeschehen

Was dann kam, ist kaum zu glauben: 1958 wurde Ellweiler zur Pionierregion der Atomindustrie. Am Bühlskopf nördlich des Dorfs wurde eine Uranerz-Aufbereitungsanlage errichtet – die erste ihrer Art in Westdeutschland. Ausgerechnet hier, im Schatten des Waldes, begann die Bundesrepublik mit der Produktion von Yellowcake, einem Vorprodukt für Brennstäbe in Atomkraftwerken.

Zunächst stammte das Uran aus der Region – später wurde es aus dem Schwarzwald, Frankreich und sogar aus Südafrika geliefert. Ellweiler war jahrzehntelang Teil des nuklearen Brennstoffkreislaufs der Republik. Gleichzeitig wuchs die Sorge: Strahlung, Leukämiefälle, Umweltbelastung. 1984 starb der kleine Stefan Morsch an Leukämie – seine Familie gründete daraufhin die Stefan-Morsch-Stiftung, die heute bundesweit bekannt ist.

1988 gingen 700 Menschen in Birkenfeld auf die Straße – gegen die Anlage in Ellweiler. Der Druck stieg, Skandale wurden publik, Fässer aus Südafrika falsch deklariert, Kontamination festgestellt. 1989 wurde die Uranaufbereitung geschlossen. Ein Kapitel ging zu Ende – ein Schock blieb zurück. Heute erinnern nur noch Warnschilder und Ruinen an eine Industrie, die nicht zu einem Dorf zu passen schien – und es doch fast drei Jahrzehnte prägte.


Zurück zur Natur – und in eine neue Zukunft

Mit dem Ende der Uranära begann eine Rückbesinnung. Ellweiler entdeckte seine Wurzeln neu – und die Natur rundherum. Über 68 % der Gemarkung ist bewaldet, das Plätschern des Traunbachs ist heute wieder das lauteste Geräusch im Ort. Die alten Feldspatgruben wurden zu Biotopen, Wanderwege führen durch stille Täler, an Aussichtspunkten vorbei, von denen aus man das Dorf überblicken kann – ein grünes Kleinod im Herzen des Nationalparklandes.

Heute ist Ellweiler mehr denn je ein Wohn- und Erholungsort. Der nahe Umwelt-Campus Birkenfeld bringt neue Impulse, neue Menschen ziehen hinzu, die Einwohnerzahl wächst – auf mittlerweile 340. Und doch ist der Charakter geblieben: eigen, ehrlich, Ellweiler.


Kirche, Kerb und Charakter

Zentrum des Orts ist die evangelische Kirche von 1776, ein schlichter Saalbau mit Dachreiter, gebaut vom Architekten Philipp Heinrich Hellermann. Sie steht unter Denkmalschutz und erinnert an eine Zeit, als Glaube und Alltag noch untrennbar verbunden waren.

Doch auch heute spielt das Gemeinschaftsleben eine große Rolle: Die Freiwillige Feuerwehr organisiert Feste, der TuS Ellweiler-Dambach hält sportlich fit. Einmal im Jahr zur Kerb – immer am ersten August-Wochenende – wird das Dorf zum Festplatz. Musik, Maifeuer, Gottesdienste, ein buntes Treiben, das Ehemalige zurück und neue Nachbarn zusammenbringt.

Und dann wäre da noch das Trauntalfest – ein Gemeinschaftsprojekt von zehn Gemeinden. Ellweiler war 2018 dabei und zeigte eine Ausstellung zur Uranvergangenheit – mit Fotos, Zeitungsausschnitten und Gesprächsangeboten. Kein Verschweigen, kein Verdrängen. Sondern Aufarbeitung mit Würde.


Ein Dorf mit Wappen – und Haltung

Seit 1963 führt Ellweiler ein eigenes Gemeindewappen: oben eine rote Elchschaufel auf Gold, unten der goldene Löwe der Pfalz-Zweibrücker – Symbol für Herkunft und Selbstbewusstsein. Der Gemeinderat ist klein, aber engagiert. Der neue Bürgermeister Holger Spreier wurde 2024 gewählt – parteilos, aus dem Dorf, für das Dorf.

Politik passiert hier am Stammtisch, im Gemeindehaus, bei der Feuerwehrprobe. Keine Parteiprogramme, sondern pragmatischer Einsatz. Und immer mit dem Blick auf das Ganze: den Ort, die Menschen, die Zukunft.


Fazit: Ellweiler – mehr Geschichte, als in viele Bücher passt

Ellweiler ist mehr als ein Punkt auf der Landkarte. Es ist ein Dorf, das Kurfürsten und Kernspaltung überlebt hat. Es hat sich nicht schrecken lassen – weder von französischen Truppen noch von atomaren Herausforderungen. Heute steht Ellweiler ruhig da – aber mit aufrechtem Blick.

Wer durch Ellweiler geht, sieht Fachwerk, Wälder, Wappen. Doch wer stehen bleibt, zuhört und nachfragt, spürt: Hier wohnt Geschichte. Lebendig, komplex und voller Stolz.


Wolfgang Herfurth – April 2025

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