Zwischen Hühnerhof und Heldengeschichte – Schmißberg lebt



Ein Dorf im Hunsrück, das mehr Herz hat als manch ganze Stadt
Hoch oben im südlichen Hunsrück, wo sich die Hügel wie Wellen im Wind wiegen, liegt ein Fleckchen Erde, das man leicht übersehen könnte – wenn es nicht so voller Leben stecken würde. Schmißberg. Ein Dorf mit rund 190 Einwohnern, einem Spielplatz, zwei Kneipen, einem Hühnerhof – und einer Geschichte, die bis ins Mittelalter reicht. Ein Ort, in dem Geschichte nicht im Museum steht, sondern auf dem Wanderweg erzählt wird. Wo Ehrenamt mehr bedeutet als ein Stichwort im Gemeindeblatt. Und wo ein Dorf zeigt, was Heimat im besten Sinne sein kann.
Geschichte mit Rückgrat – und Abgründen
1367 taucht der Name Schmißberg zum ersten Mal in den Chroniken auf – in einer Urkunde der Grafen von Sponheim. Doch die Geschichte beginnt wohl schon früher. Römische Grabstätten am Rand des Dorfes lassen vermuten, dass hier schon vor über 1.500 Jahren Menschen lebten, liebten, starben – und Spuren hinterließen. Schmißberg war nie groß, aber immer da. Und es wusste, sich durchzusetzen.
Dunkle Kapitel? Die gibt es auch. Auf dem Galgenhübel, einem Hang des Krausbergs, wurde einst eine Frau hingerichtet – ein Mordfall aus dem 18. Jahrhundert, der bis heute in der Erinnerung spukt. Und als die Nazis kamen, verlor Schmißberg sogar seine Eigenständigkeit: Die Zwangsfusion mit dem Nachbardorf Elchweiler wurde erst 1962 wieder rückgängig gemacht. Ein kleiner Ort, der sich seine Identität zurückerkämpfte – das muss man Schmißberg erstmal nachmachen.
Nah am Puls – und trotzdem Hunsrück pur
Die Kreisstadt Birkenfeld ist nur einen Steinwurf entfernt. Gerade einmal drei Kilometer trennen Schmißberg vom nächsten städtischen Zentrum. Ein Katzensprung, der den Bewohnern das Leben leichter macht – mit Schulen, Ärzten, Supermärkten und Verwaltung direkt in Reichweite. Und doch bleibt Schmißberg ganz bei sich. Zwischen Wäldern, Wiesen und weitem Blick über den Hunsrück lebt es sich hier wie auf einer kleinen Insel – mit dem Kopf offen für Neues, aber mit dem Herzen fest in der Heimat verankert.
Naturidylle mit Federvieh
Wer heute durch Schmißberg spaziert, merkt schnell: Hier ist nicht viel los – aber alles echt. Es kräht ein Hahn, Schafe blöken auf der Wiese, und über 100 Hühner scharren am Rand der Dorfstraße. Die Kühe? Glanrinder. Eine alte Rasse, die man anderswo kaum noch sieht. Hier aber gehören sie zum Landschaftsbild.
Und mittendrin: Lotte und Bernie, zwei Weißstörche, die in der liebevoll gepflegten Storchenvoliere leben. Nicht mehr flugfähig, aber für die Dorfbewohner noch immer Könige der Lüfte. Die Natur in und um Schmißberg ist nicht nur schön – sie ist gelebte Verantwortung. Der Naturerlebnisweg „Im Land von Milan, Storch & Co.“ führt Wanderer über fünf Kilometer durch eine Welt aus Vögeln, Blüten und Hunsrücker Horizonten. Dazu Infotafeln, Aussichtspunkte, Ruheplätze. Kein Schnickschnack – aber viel Seele.
Politik im kleinen Kreis – aber mit Wirkung
Dass Demokratie auch im Kleinen funktioniert, zeigt Schmißberg ebenfalls. Seit 2024 steht Stefan Nagel an der Spitze des Dorfes – gewählt, geschätzt, engagiert. Davor war es Rudi Weber, davor Thomas Marx, davor Adolf Schuch. Namen, die in Schmißberg noch etwas bedeuten, weil sie mit dem Ort verwachsen sind.
Der Gemeinderat? Klein, effizient, pragmatisch. Es wird nicht taktiert, sondern getan. Vieles basiert auf Ehrenamt, auf Herzblut – und auf dem Wissen: Wenn hier niemand anpackt, tut es keiner. Also packt man eben an. Und das mit Stolz.
Wenn Gemeinschaft mehr ist als ein Wort
Schmißberg feiert – und das mit Leidenschaft. Ob beim Preisbull-Turnier, dem legendären Kartenspielabend, bei dem sich jedes Jahr Kartenfreunde aus der ganzen Region messen. Oder beim Brunnenfest im Juli, bei dem Musik, Bier und Dorfbrunnen für echte Sommermomente sorgen.
Besonders war 2024 die Rückkehr des Haxenfests – nach fünf Jahren Pause endlich wieder knusprige Schweinshaxe und Festbier unterm Zeltdach. Und als 2024 bei der „Karibischen Nacht“ ein Sommergewitter aufzog, wurde nicht geflucht – sondern getanzt. Eben Schmißberg.
Hinter all dem steht eine Dorfgemeinschaft, die sich selbst organisiert. Mit dabei: die Freiwillige Feuerwehr, die Dorfschmiede, die Rentnertruppe, die seit 20 Jahren ehrenamtlich den Ort verschönert. Über 500 Einsätze – Rasen mähen, Bänke streichen, Hecken schneiden. 2024 gab’s als Dank eine neue Heckenschere. Und jede Menge Applaus.
Zwei Kneipen, null Langeweile
Es gibt Dörfer mit 2.000 Einwohnern ohne einzige Kneipe. Schmißberg hat zwei – bei nicht mal 200 Menschen. Der „Schlachthof Schmißberg“ ist eine urige Wirtschaft in einem alten Schlachthaus. Dort trifft man sich auf ein Bier, feiert Geburtstage oder schaut gemeinsam Fußball. Gegenüber: die Dorfschenke, ebenfalls gemeinschaftlich betrieben. Hier wird Politik diskutiert, Hochzeit geplant und Dorftratsch gepflegt. Mehr soziale Infrastruktur geht nicht.
Geschichte zum Anhören – und Erinnern
2024 ging ein besonderes Projekt an den Start: der Audiowanderweg „Schmißberger Geschichte(n)“. Vierzehn Stationen, an denen Geschichten aus der Vergangenheit per Smartphone hörbar werden. Eine davon besonders bewegend: Drei Korbinians-Apfelbäume, gepflanzt als Zeichen gegen das Vergessen – in Erinnerung an die Schrecken der NS-Zeit. Schmißberg vergisst nicht. Und es verschweigt nicht.
Zukunft mit grünem Herz
Auch wenn Schmißberg in alten Mauern lebt, denkt man hier nach vorn. Das integrierte Energiequartierskonzept, gemeinsam mit dem Umwelt-Campus Birkenfeld entwickelt, zeigt: Nachhaltigkeit ist keine Floskel. Das Ziel: klimafreundlicher leben – nicht irgendwann, sondern jetzt.
Schnelles Internet? Gibt’s. Ferienwohnungen? In der alten Dorfschule, liebevoll renoviert. Tourismus? Ja, aber sanft. Schmißberg wird sich nie verbiegen – aber es lädt herzlich ein.
Medienliebling mit Haltung
Ob SWR, Rhein-Zeitung oder lokale Blogs – Schmißberg macht Schlagzeilen. Nicht wegen Skandalen, sondern wegen Zusammenhalt, Engagement, Ideen. „Hierzuland“, die beliebte SWR-Reihe, widmete dem Dorf 2020 einen ganzen Beitrag. Die Quintessenz: Ein Dorf, das lebt. Und liebt. Sich selbst, seine Geschichte – und seine Zukunft.
Fazit: Ein Dorf wie ein Versprechen
Schmißberg ist kein Postkartenidyll. Es gibt Regen, es gibt Arbeit, es gibt Streit. Aber es gibt auch Hoffnung, Mut, Ideen – und Menschen, die mehr tun als nur wohnen. Wer Schmißberg besucht, erlebt nicht nur ein Dorf, sondern ein Gefühl.
Ein Gefühl, das sich nicht in Quadratkilometern messen lässt. Sondern in Geschichten, Gesten und Gemeinschaft.
Zwischen Hühnerhof und Heldengeschichte – Schmißberg lebt. Und wie.
Wolfgang Herfurth – April 2025