Wo Biereschmier und Römergötter aufeinandertreffen – Leisel begeistert mit Herz und Historie

Im Herzen des Hunsrücks, wo sich Wälder und Wiesen in sanften Wellen treffen und Geschichte auf gelebte Gemeinschaft prallt, liegt ein Dorf, das seinem eigenen Takt folgt: Leisel. Rund 534 Menschen leben hier – nicht nur in einem Ort, sondern in einem Gefühl. Wer Leisel besucht, betritt mehr als eine Ortsgemeinde im Landkreis Birkenfeld. Man betritt einen Mikrokosmos voller Historie, Herz und Heimatstolz. Zwischen Biereschschmier-Kirmes, römischen Villenüberresten und moderner Dorferneuerung entfaltet sich eine Geschichte, die weit über das hinausgeht, was die Einwohnerzahl vermuten lässt.

Ein Dorf trotzt dem Trend

Während andere Dörfer mit sinkenden Bevölkerungszahlen kämpfen, wächst Leisel. Um 7,5 % in 25 Jahren – eine Entwicklung, die in Rheinland-Pfalz Seltenheitswert hat. Und das, obwohl Leisel nicht an einer Bahnlinie liegt, keinen Supermarkt besitzt und kein Industriegebiet aus dem Boden gestampft wurde. Was also zieht die Menschen hierher – oder besser gesagt: Was hält sie hier?

Die Antwort liegt im Zusammenhalt, im Stolz auf das Erbe und im Willen zur Gestaltung. In Leisel hat die Gemeinschaft das Steuer übernommen – wortwörtlich. Vom ehemaligen Stierstall bis zur Vereinshalle: Hier wird nicht gewartet, bis Hilfe von außen kommt. Man krempelt selbst die Ärmel hoch. Und das seit Jahrhunderten.

Geschichte mit Tiefgang: Von Lucei bis Leisel

Leisel ist kein Dorf, das entstanden ist – es wurde geprägt. Erstmals erwähnt 1180 unter dem Namen Lucei, gehörte das Gebiet damals dem Kurfürstentum Trier. Später übernahmen die Grafen von Sponheim das Zepter, was sich bis heute im Ortswappen widerspiegelt: Rot-silbernes Schachbrettmuster unter einem Hirschgeweih mit Krone – Symbol für Jagd, Adel und das historische Amtshaus, das 1767 erbaut wurde und noch heute das Ortsbild prägt.

Im 18. Jahrhundert rutschte Leisel unter französische Herrschaft, wurde später Teil des Fürstentums Birkenfeld und war fast 130 Jahre lang eine Oldenburger Exklave – ein kleines politisches Kuriosum mitten im Hunsrück. Diese bewegte Geschichte sorgte nicht nur für architektonische und kulturelle Spuren, sondern auch für eine gewisse Selbstständigkeit im Denken, die sich bis heute erhalten hat.

Heiligenbösch – Kirche auf römischen Mauern

Ein stilles Monument dieser langen Geschichte steht etwas abseits des Dorfkerns – die Evangelische Pfarrkirche Heiligenbösch. Ihr Turm stammt vermutlich aus dem 13. Jahrhundert, das Langhaus von 1730. Das Besondere: Sie ruht auf den Grundmauern einer römischen Villa, einer villa rustica, inklusive Badeanlagen.

Ein Spaziergang dorthin ist nicht nur spirituell, sondern auch landschaftlich ein Erlebnis. Die Kirschbaumallee, die vom Dorfzentrum zur Kirche führt, verwandelt sich im Frühling in ein weiß-rosa Blütenmeer – ein beliebtes Fotomotiv und heimlicher Stolz vieler Leiseler.

Zwischen Fastnacht und Feuerwehr: Das soziale Herz schlägt laut

Doch Leisel ist nicht nur Geschichte – es ist gelebte Gegenwart. Und die pulsiert vor allem in der Dorfgemeinschaft. Etwa 20 Veranstaltungen zählt der Dorfkalender jährlich. Highlight: Die Biereschschmier-Kirmes, bei der eine Hunsrücker Spezialität aus gekochten Birnen im Mittelpunkt steht. Aber auch Sportfest, Sängerabende und Fastnachtsumzüge bringen Leben in die Vereinshalle – ein Gemeinschaftswerk der Leiseler, errichtet in Eigenleistung aus einem alten Dreschschuppen.

Mehrere Vereine halten das soziale Leben am Laufen: Sportverein, Gesangsvereine, Feuerwehr, Jugendfeuerwehr und natürlich die Kläppergarde, eine lokale Fastnachtsgruppe mit Kultstatus. Hier entstehen Bindungen, die Generationen überspannen – und den Nachwuchs gleich mit einbeziehen.

Klein, aber oho: Wirtschaft mit Handschlag

Industrie? Fehlanzeige. Und doch brummt das wirtschaftliche Leben – auf seine ganz eigene Weise. In Leisel gibt es knapp 44 kleine Betriebe: Handwerker, Dienstleister, Gastgeber. Besonders bekannt: Das Kinderheim Leisel, das seit über 40 Jahren Kindern und Jugendlichen ein Zuhause bietet. Oder die Kleine Dorfwirtschaft, die nicht nur mit Herzlichkeit, sondern auch mit einer eigenen Mikrobrennerei aufwartet. Rettichschnaps, Lebkuchengeist – in Leisel wird experimentiert, getüftelt und verkauft.

Diese wirtschaftliche Vitalität kommt nicht von ungefähr. Sie fußt auf Verwurzelung – und auf der Liebe zur Region. Die Nähe zum Nationalpark Hunsrück-Hochwald, Wanderwege wie die Bunte Götterallee mit lebensgroßen römischen Skulpturen, der Naturpark Saar-Hunsrück – all das zieht nicht nur Besucher an, sondern inspiriert auch Einheimische zu neuen Ideen.

Zwischen Römergöttern und Zukunftsplänen

Der vielleicht ungewöhnlichste Anziehungspunkt ist die erwähnte Götterallee: Zehn bunt bemalte Statuen – Jupiter, Venus, Merkur und Co. – säumen seit 2012 den 2,5 Kilometer langen Weg nach Schwollen. Archäologie trifft auf Pop-Art, Römer auf Instagram. Ein Projekt, das zeigt: Leisel hat Humor – und Visionen.

Auch beim Thema Klimawandel und Extremwetter geht das Dorf voran. 2024 erarbeitete die Gemeinde ein Starkregen- und Hochwasserschutzkonzept – gemeinsam mit Fachleuten und Bürgern. Leisel denkt nicht nur an gestern und heute – sondern an morgen.

Tradition bewahren, Zukunft gestalten

Was Leisel auszeichnet, ist nicht allein seine Geschichte. Es ist die Art, wie diese Geschichte weitergeschrieben wird: durch Bürger, die Verantwortung übernehmen. Durch Restaurierungen im Ortskern, die Respekt vor dem Alten zeigen. Durch neue Nutzungen alter Gebäude: Schule wird Bibliothek, Backhaus bleibt in Betrieb, Schlachthaus wird Denkmal für Handwerkskultur.

2010 stand Leisel im Landesfinale von „Unser Dorf hat Zukunft“ – und dieser Satz beschreibt es vielleicht am besten: Leisel hat Zukunft. Nicht, weil jemand sie bringt. Sondern weil man sie sich selbst schafft.

Ein Blick von oben – und aus dem Herzen

Was noch fehlt, ist der Blick von oben. Auch wenn nicht jeder Ort der Verbandsgemeinde eine persönliche Station war – Leisel bleibt im Gedächtnis. Als Kind der Verbandsgemeinde Birkenfeld, geboren und aufgewachsen in der Kreisstadt Birkenfeld, sind die Orte der Region mehr als nur geografische Punkte auf der Karte. Und obwohl heute die Wahlheimat Abenteuer das Zuhause ist – ebenfalls in der Verbandsgemeinde und dem Landkreis gelegen – bleibt der Bezug zur Region tief verwurzelt.

Früher waren es Fußballspiele gegen eine Jugendmannschaft aus Leisel, an die sich noch gut erinnert wird – etwa in der C-Jugend mit dem SC Birkenfeld. Heute ist es der fotografische Blick auf Landschaft, Dorfstruktur und Natur. Ein persönliches Projekt bringt Leisel in Bewegung: Im Laufe des Sommers 2025 sollen Drohnenaufnahmen entstehen, die das Dorf aus einer neuen Perspektive zeigen – aus der Luft, mit dem Blick eines Heimatverbundenen.

Die Veröffentlichung dieser Aufnahmen wird voraussichtlich im Spätsommer bis Frühherbst 2025 auf der Webseite wolftensor.online erfolgen. Schon jetzt darf man gespannt sein, wie Leisel dann im besten Licht erscheinen wird – aber ganz ohne Eile, denn gute Bilder brauchen Zeit. Und Leisel hat sie verdient.

Wolfgang Herfurth – April 2025

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