Nachruf auf 142 Jahre Sängervereinigung Abentheuer
Eine Stimme des Dorfes verstummt

Nach 142 Jahren verstummt zum Jahresende 2025 eine Stimme, die Generationen von Abentheuerern begleitet hat: Die Sängervereinigung Abentheuer – der älteste Verein des Ortes – wird aufgelöst. Bei einer Mitgliederversammlung im Frühjahr 2025 beschlossen die letzten Mitglieder schweren Herzens, die 1883 begründete Tradition zu beenden. Finanzielle Nöte und fehlender Nachwuchs ließen keine Wahl: „Unser Vermögen ist aufgebraucht… keine Reserven mehr da“, erklärte Vorsitzender Rudolf Quack resigniert als einen der Gründe. Mit diesem Entschluss endet ein Kapitel Ortsgeschichte, das 142 Jahre lang vom Lied und vom Gemeinschaftsgeist geprägt war.
Gründung im 19. Jahrhundert: Anfang einer langen Tradition
Im Jahr 1883 fanden sich in Abentheuer einige sangesbegeisterte Herren zusammen und hoben einen Gesangverein aus der Taufe. In dem kleinen Hunsrückdorf, geprägt von Eisenhütte und Waldarbeit, sollte fortan der Chorgesang das dörfliche Leben bereichern. Schon die Gründer ahnten wohl kaum, welch lange Geschichte sie begründen würden. In den ersten Jahrzehnten entwickelte sich der Verein – damals ein reiner Männerchor – zu einer festen Institution im Ort. Bei geselligen Abenden im Wirtshaus, zu kirchlichen Feiertagen und auf Dorfveranstaltungen waren die Lieder des Chores bald nicht mehr wegzudenken. Der Klang ihrer Stimmen schweißte die Gemeinschaft zusammen und gab dem Ort eine musikalische Seele.
Höhen, Tiefen und Wandel im 20. Jahrhundert
Wie so viele Vereine musste auch die Sängervereinigung schwere Einschnitte hinnehmen. Die Weltkriege rissen Lücken in die Reihen der Sänger; viele kehrten nicht heim. Doch immer wieder erwachte der Chor erneut zum Leben – ein Zeichen der Hoffnung und des Zusammenhalts. Bereits 1946 sammelten sich die Sänger wieder. Es muss bewegend gewesen sein, als nach all dem Leid das erste Lied wieder im Dorf erklang.
In den 1950er- und 1960er-Jahren erlebte der Chor eine echte Blütezeit. Oft dreißig und mehr Männer aller Altersstufen hoben gemeinsam an zu Liedern, die vom Aufbruch und von Heimatliebe erzählten. Die Sängervereinigung gestaltete unzählige Auftritte und Konzerte, stets waren ihre Stimmen ein Garant für Gänsehautmomente. Auch abseits der Bühne war der Verein eine Familie, verbunden durch gemeinsame Ausflüge, Probenabende voller Kameradschaft und das jährliche Stiftungsfest.
Ab den späten 1970er Jahren vollzog sich ein behutsamer Wandel: Die bis dahin reine Männerdomäne öffnete sich für Frauen. Erstmals traten auch weibliche Stimmen dem Chor bei – zunächst eine kleine Revolution im Dorfleben. Doch schon bald war klar, welch Gewinn dies bedeutete. Als gemischter Chor konnte die Sängervereinigung ein breiteres Repertoire singen, und die harmonische Mischung aus Männer- und Frauenstimmen verlieh dem Klang neue Wärme. Frauen brachten frischen Wind und übernahmen Verantwortung im Vereinsleben. Diese Öffnung erwies sich als Segen für den Fortbestand der Gemeinschaft.
Chorleiter, Persönlichkeiten und Meilensteine

Über all die Jahrzehnte hinweg wurde der Chor von engagierten Chorleitern und Chorleiterinnen geführt, die mit Herzblut und Können die Sänger vereinten. Unvergessen bleiben jene, die teils über Jahrzehnte am Dirigentenpult standen und Generationen von Sängern formten. Jeder von ihnen hinterlässt Spuren in der Vereinschronik. Auch unter den Vorsitzenden und Aktiven ragten Persönlichkeiten heraus: Vorsitzende führten mit Geschick durch gute wie schlechte Tage, oft selbst gestandene Sänger, die ihr halbes Leben dem Chor widmeten. Namen wie Rudolf Quack – zuletzt an der Spitze des Vereins – stehen exemplarisch für Treue und Einsatz. Viele Mitglieder wurden für jahrzehntelanges Singen im Chor geehrt; einige Familien stellten über Generationen hinweg Sänger. Diese Menschen und ihre Geschichten sind das Herz der Sängervereinigung.
Immer wieder nahm sich der Verein Zeit, innezuhalten und auf seine Geschichte zurückzublicken. Festschriften und Chroniken zeugen von der reichen Vergangenheit – zum 125-jährigen Jubiläum wurde eine ausführliche Chronik erstellt. Schon zum 100-jährigen Bestehen wurde dem Chor die Zelter-Plakette verliehen – höchste Würdigung für die Pflege des Chorgesangs. Solche Jubiläen waren Höhepunkte im Vereinsleben: Das Dorf war festlich beflaggt, ehemalige Mitglieder reisten an, und in den Reden wurde die kulturelle Bedeutung des Chores gewürdigt. Manche dieser Momente bleiben unvergesslich, etwa wenn zum Abschluss alle Anwesenden gemeinsam das „Abendlied“ anstimmten.

Im Dienst der Gemeinschaft – bis zum letzten Lied
Die Sängervereinigung Abentheuer war weit mehr als ein Chor; sie war soziales Bindeglied des Ortes. Ob Taufe, Hochzeit, Jubiläum – oder Trauerfeier und Volkstrauertag: stets verliehen die gemeinsamen Lieder diesen Momenten Würde und Gefühl. Noch im November 2024 – wenige Monate vor dem Beschluss zur Auflösung – gestalteten die Sänger die Gedenkfeier zum Volkstrauertag musikalisch mit. Es war ein leises Zeugnis dafür, dass die Sängervereinigung bis zuletzt ihrer Heimatgemeinde diente. Viele Abentheuerer erinnern sich an die jährlichen Adventskonzerte, wenn vertraute Weihnachtslieder den Raum erfüllten und so manchem Zuhörer Tränen der Rührung in die Augen traten.
Auch die Freundschaft zu anderen Chören prägte das Vereinsleben: Über Kreis- und Landesgrenzen hinweg pflegte man Kontakte. Gegenseitige Besuche, gemeinsame Konzerte und Ausflüge schufen ein Netzwerk der Chormusik, in dem Abentheuer stets ein geschätzter Partner war.
Abschied mit Dank und Wehmut
Nun heißt es Abschied nehmen. Wenn an Silvester 2025 der letzte Akkord verklingt, endet eine Ära. In diesem emotionalen Nachruf verneigen wir uns vor den Verdiensten der Sängervereinigung Abentheuer. 142 Jahre lang hat sie das kulturelle Leben im Dorf bereichert, Höhen und Tiefen gemeistert und unzähligen Menschen Freude bereitet. Sie hat junge Stimmen ausgebildet und alte Stimmen jung gehalten. Sie hat Tradition bewahrt und Wandel zugelassen, ohne ihren Kern zu verlieren. Die Sängervereinigung war ein Stück Heimat – ihr Klang wird im Gedächtnis der Gemeinde nachhallen, auch wenn der Verein nun geht.
Wir gedenken der Leistung all ihrer Mitglieder: der Gründer von 1883, der mutigen Wiederbeginner nach den Kriegen, der Frauen und Männer, die ihre Freizeit dem Chorgesang widmeten, und der Chorleiterinnen und Chorleiter, die mit Geduld und Können den Takt vorgaben. Ihr Ehrenamt, ihre Leidenschaft, ihr Zusammenhalt – das alles verdient höchsten Respekt und Dank.
Wenn die letzte Vereinsfahne eingerollt und das Probenbuch geschlossen wird, bleibt doch eins bestehen: das Erbe der Lieder. Dieses Erbe kann niemand auflösen. Vielleicht werden künftige Generationen eines Tages wieder anknüpfen – die Erinnerung an die Sängervereinigung Abentheuer wird dann Inspiration sein.
Heute jedoch nehmen wir traurig Abschied. Lebwohl, Sängervereinigung Abentheuer! Du hast 142 Jahre lang in Freud und Leid für uns gesungen. Dein Lied verhallt nicht ungehört – dein Andenken lebt in jedem Ton weiter, der in Abentheuer je erklingen wird.
Danke für die Musik, die Gemeinschaft und die unvergessliche Geschichte. Ruhe in Frieden, lieber Chor – und möge dein Geist in unseren Herzen weiterklingen.
Wolfgang Herfurth – Mai 2025