Ein verdrängtes Kapitel deutscher Geschichte

80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs richtet sich der Blick wieder auf jene, die überlebten. Millionen junger Männer kehrten damals aus einem zerstörten Europa zurück in ein zerbombtes Deutschland. Doch was sie mitbrachten, war unsichtbar: seelische Verwüstungen, traumatische Erinnerungen, Schuldgefühle und Sprachlosigkeit. Während der Wiederaufbau begann, gerieten viele von ihnen ins innere Trudeln – und verschwanden aus dem öffentlichen Gedächtnis.

Die Unsichtbaren unter den Heimkehrern

In der kollektiven Erinnerung dominieren Täter, Funktionäre, Generäle. Doch der Großteil der Wehrmachtssoldaten bestand aus jungen Männern, oft kaum volljährig, die in ein System gezwungen wurden, das keine Wahl ließ. Viele kämpften, weil sie mussten, nicht weil sie wollten. Die Rückkehr dieser Männer in die Zivilgesellschaft verlief in den meisten Fällen ohne psychologische Unterstützung, ohne Anerkennung, ohne Worte.

Niemand fragte sie, was sie erlebt hatten. Niemand hörte ihnen zu.

Viele schwiegen. Aus Scham. Aus Angst. Aus dem Gefühl, das Erlebte nicht in Worte fassen zu können – oder nicht zu dürfen.

Das Trauma im Gepäck

Psychisch belastet, innerlich zerrissen, stießen viele Heimkehrer auf eine Gesellschaft, die weder Mittel noch Willen hatte, sich um sie zu kümmern. In den ersten Nachkriegsjahren stand das Überleben im Vordergrund – Wohnraum, Nahrung, Arbeit. Für seelische Wunden war kein Platz. Die Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS) war noch unbekannt. Die Begriffe „Kriegstrauma“ oder „psychische Kriegsfolgen“ existierten im öffentlichen Diskurs schlicht nicht.

Das Ergebnis: Millionen Männer, die innerlich gebrochen durchs Leben gingen. Viele zerbrachen – langsam, über Jahre hinweg. Alkoholismus, Gewalt, Rückzug, Depressionen und Suizide prägten unzählige Biografien. Ganze Familien litten unter dieser Schweigespirale.

Wenn das Schweigen zur Waffe wird

„Er hat nie darüber gesprochen“ – ein Satz, den viele Nachkommen ehemaliger Soldaten kennen. Das Schweigen wurde zur Überlebensstrategie. Aber es war auch ein Fluch. Denn was nicht ausgesprochen wird, bleibt bestehen. Es wirkt weiter – in den Kindern und Enkeln, in unterschwelligen Familiendynamiken, in der kollektiven Erinnerungslosigkeit.

Psychologen sprechen heute von transgenerationaler Traumatisierung. Das bedeutet: Die unausgesprochenen Traumata der Kriegsgeneration wirken sich auf das emotionale Leben der nächsten Generationen aus – ohne dass diese genau wissen, warum.

Keine Täter – aber trotzdem Opfer?

Die gesellschaftliche Diskussion um Schuld und Verantwortung nach dem Krieg war notwendig – aber sie war auch einseitig. Wer keine NS-Überzeugungstäter war, sondern ein Rädchen im Getriebe, geriet zwischen die Fronten: nicht unschuldig, aber auch nicht kriminell. Nicht gefeiert, aber auch nicht betreut.

Viele Heimkehrer fühlten sich alleingelassen. Die Gesellschaft, überfordert vom Neuanfang, bot weder Therapie noch Trost. Die Kirchen hatten keine Antworten, die Politik keine Lösungen. Es herrschte eine Stimmung des kollektiven Vergessens – auch, weil es schlicht zu schmerzhaft gewesen wäre, sich mit dem seelischen Nachkriegselend auseinanderzusetzen.

Die Suizidrate – ein Tabuthema

Zuverlässige Zahlen fehlen – aber Einzelfallberichte, Tagebuchaufzeichnungen, medizinische Archive und familiäre Erzählungen deuten auf eine erschreckend hohe Suizidrate unter Heimkehrern hin. Besonders in den 1950er und 60er Jahren kam es zu auffälligen Häufungen von Selbsttötungen bei ehemaligen Soldaten. Und niemand sprach darüber.

Der Krieg war offiziell vorbei. Doch für viele hörte er nie auf.

Das große Versäumnis

Die Bundesrepublik hat vieles aufgearbeitet – die Schuld, die Täter, den Holocaust, den Widerstand. Doch die psychischen Trümmer der eigenen Vätergeneration blieben lange im Schatten. Erst mit der Welle der biografischen Erinnerungsforschung seit den 1990er Jahren begannen Historiker und Psychologen, auch über die „inneren Kriegsfolgen“ zu sprechen.

Aber die öffentliche Anerkennung des seelischen Leids? Die fehlt bis heute.

Es gab keine Entschädigung, keine Gedenktafeln, keine offizielle Anerkennung dieses stillen Leidens. Während in anderen Ländern – etwa den USA oder Großbritannien – Veteranenprogramme und psychologische Betreuung längst etabliert waren, blieben deutsche Heimkehrer auf sich gestellt.

Zeit für späte Worte

Heute, 80 Jahre nach Kriegsende, beginnt sich das Blatt langsam zu wenden. Dokumentationen, Bücher, Podcasts beschäftigen sich mit den seelischen Langzeitfolgen des Zweiten Weltkriegs. Kinder und Enkel fragen nach, graben Familiengeschichten aus, stellen Zusammenhänge her.

Und doch bleibt ein bitterer Beigeschmack: Zu spät für viele, die gestorben sind, ohne je verstanden worden zu sein.

Ein Appell an das Erinnern

Es ist Zeit, den Blick zu weiten. Weg von der Täterfixierung, hin zur differenzierten Betrachtung der Opfer des Krieges – auch der psychischen. Denn zwischen Schwarz und Weiß liegt ein weites Feld. Millionen Männer waren nicht Täter, sondern Gefangene eines Systems, Spielbälle einer Zeit, Opfer ihrer Jugend.

Sie kamen zurück – und waren doch nie wieder ganz da.
Sie lebten weiter – und gingen doch langsam zugrunde.
Sie schwiegen – und hinterließen Generationen voller Fragen.

Wolfgang Herfurth – Mai 2025

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