


Autohaus Nagel in Birkenfeld: Eine Ära endet – doch der Name bleibt
Das Autohaus Nagel in Birkenfeld war über Jahrzehnte hinweg eine feste Größe in der regionalen Automobilbranche. 1919 gegründet, entwickelte sich das Unternehmen von einer kleinen Reparaturwerkstatt zu einem modernen Opel-Autohaus mit eigener Fahrschule und Tankstelle. Nach über 90 Jahren kam es zur Insolvenz, doch die Firma existiert heute weiter – allerdings ohne Verbindung zur ursprünglichen Gründerfamilie.
Von der Schlosserwerkstatt zum Opel-Autohaus
Die Geschichte des Autohauses beginnt mit Gustav Nagel, geboren 1885 in Birkenfeld. Nach einer Schlosserlehre und Stationen in Saarbrücken, Köln und Frankfurt kehrte er nach dem 1. Weltkrieg zurück und gründete 1919 eine Kfz-Werkstatt mit Fahrzeughandel in der Achtstraße.
In den frühen Jahren gab es in der Region nur wenige Autos. Fahrräder waren das Hauptfortbewegungsmittel, sodass sich Nagel zunächst auf deren Reparatur spezialisierte. Nähmaschinen und Schreibmaschinen gehörten ebenfalls zu seinem Serviceangebot – eine Dienstleistung, die bis in die 1970er-Jahre Bestand hatte.
Mit der zunehmenden Verbreitung des Automobils expandierte das Unternehmen:
- 1923: Meisterprüfung von Gustav Nagel
- 1924: Offizieller Opel-Vertragspartner
- 1935: Erhalt der Fahrlehrerlizenz – bis in die 1960er-Jahre konnte man hier den Führerschein erwerben
- 1938: Umzug in die Wasserschiederstraße 21
Das heutige Firmengebäude gehörte ursprünglich der jüdischen Familie Kahn. Neben dem Haupthaus befand sich eine Scheune, die später einer Tankstelle weichen musste – bis in die 1980er-Jahre war hier Benzin der Marken Leuna, Gasolin und später Aral erhältlich.
Nachkriegszeit und Aufstieg zum modernen Autohaus
Nach dem 2. Weltkrieg übernahm Tochter Gertrud Nagel-Buerschaper mit ihrem Mann Erich Buerschaper die Leitung des Unternehmens. Die 1950er- und 1960er-Jahre waren eine Blütezeit für das Autohaus Nagel. Das Wirtschaftswunder brachte steigenden Wohlstand, und immer mehr Menschen konnten sich ein eigenes Auto leisten.
Das Unternehmen entwickelte sich zu einem gefragten Ausbildungsbetrieb, zahlreiche Mechaniker, Karosseriebauer und Verkäufer starteten hier ihre Karriere.
Besonders prägend für den Betrieb waren langjährige Mitarbeiter wie:
- Walter Märker, Heinz Kröninger, Helmut Holderbaum, Dieter Stahl und Fritz Adami
- Franz Josef Mennebrücker, ein erfahrener Kundendienstberater, der über 30 Jahre lang die treue Anlaufstelle für Kunden war
- Freimut Krummauer, Karosseriebauer seit 1970
- Manfred Graf, ein langjähriger Mitarbeiter, der das Unternehmen mit seinem Fachwissen und Engagement mitprägte
- Herbert Bollendorf, der dem Betrieb über 35 Jahre angehörte
- Ursula, geborene Buerschaper, die Schwester von Anita Buerschaper, die über viele Jahre hinweg eine wichtige Stütze im Unternehmen war
- Dorothee Böhme, die gute Seele des Betriebs, die sich um die Auftrags- und Rechnungsbearbeitung kümmerte – und oft rettete, wenn die Tagesabrechnung der Tankstelle nicht stimmte
- Helmut Holderbaum, der Lagerverwalter, der aus den Tiefen des Ersatzteillagers stets genau das richtige Teil hervorzauberte
- Wasily Horbatiuk, Fahrzeugaufbereiter– ein bescheidener, aber aufrechter Mann mit eigenem Kopf und geselligem Wesen
Viele von ihnen waren über Jahrzehnte hinweg das Gesicht des Autohauses Nagel und prägten das familiäre Betriebsklima.
1980er-Jahre: Ausbau und neue Herausforderungen
1979 übernahm Anita Buerschaper, Tochter von Gertrud und Erich, das Unternehmen. Unter ihrer Leitung begann eine Modernisierung:
- 1980: Eröffnung des ersten großen Opel-Ausstellungsraums in Birkenfeld
- Ausbau der Werkstatt zum modernen Dienstleistungszentrum
- Einführung neuer Technologien in den Werkstattbetrieb
- Verstärkter Fokus auf Kundenservice und Beratung
Doch während die 1980er-Jahre zunächst positive Entwicklungen brachten, zeichnete sich in den folgenden Jahrzehnten ein Wandel ab.
Wirtschaftliche Probleme und das Ende des Familienbetriebs
Trotz des frühen Erfolgs geriet das Unternehmen im Laufe der 2000er-Jahre zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Strukturelle Veränderungen in der Automobilbranche, steigende Anforderungen der Hersteller an ihre Vertragspartner sowie der zunehmende Wettbewerb durch große Autohandelsketten setzten dem Familienbetrieb zu.
Letztlich konnte das Autohaus Nagel den wirtschaftlichen Herausforderungen nicht standhalten. Unter der Führung von Anita Buerschaper geriet das Unternehmen in finanzielle Schieflage und musste Insolvenz anmelden.
Damit endete nach über 90 Jahren die Geschichte einer der traditionsreichsten Firmen in Birkenfeld – zumindest als Familienunternehmen.
Neuanfang unter neuem Eigentümer
Obwohl das Autohaus Nagel als Familienbetrieb nicht mehr existiert, wurde der Betrieb nach der Insolvenz übernommen und wird unter dem gleichen Namen weitergeführt. Allerdings hat das Unternehmen heute keine Verbindung mehr zur Gründerfamilie Nagel.
Der Name bleibt, doch die Menschen, die das Autohaus über Jahrzehnte prägten, sind nicht mehr Teil des Unternehmens.
Fazit: Eine Zeit, die unvergessen bleibt
Das Autohaus Nagel war über Jahrzehnte ein Symbol für Verlässlichkeit, Qualität und persönlichen Service in der Region Birkenfeld. Trotz des bitteren Endes als Familienbetrieb bleibt die Erinnerung an ein Unternehmen, das Generationen von Autofahrern begleitete und zahlreichen Menschen eine berufliche Heimat bot.
Dass dieser Beitrag von Wolfgang Herfurth stammt, der selbst von 1969 bis 1973 im Autohaus Nagel seine Lehre als Kfz-Mechaniker absolvierte, macht diese Geschichte umso bedeutungsvoller. Denn das Leben schreibt seine eigenen Geschichten – und manchmal wird ein ehemaliger Lehrling zum Chronisten einer ganzen Ära.
Mit der Insolvenz verschwand zwar der ursprüngliche Familienbetrieb, doch der Name Nagel lebt weiter – wenn auch in einer völlig neuen Form.