Der Felsenkeller am Schönewald – Erinnerungen an einen fast vergessenen Schatz

Ich bin in Birkenfeld geboren. Ich bin hier aufgewachsen. Und ich lebe noch heute hier im Ort Abentheuer. Manche sagen, das sei provinziell. Ich sage: Es ist Heimat. Und wenn ich an meine Kindheit denke, an die Sommersonntage der 60er Jahre, an Lachen, Stimmengewirr und den Duft von Blechkuchen und Kaffeedampf unter alten Kastanienbäumen – dann denke ich an den Felsenkeller.

Damals war das für uns Kinder ein echtes Highlight. Wenn unsere Eltern, mit uns vier Kindern im Schlepptau, ankündigten: „Heute gehen wir zum Felsenkeller“, dann wussten wir – es wird ein guter Tag. Ein Ausflug, wie aus dem Bilderbuch: durch den Schönewald, das Licht, das durch die Blätter flimmerte, das Klackern der Absätze meiner Mutter auf dem Kiesweg – und dann das vertraute Bild: die langen Bänke, der kühle Schatten der Bäume, Stimmen, Gelächter, und der süßliche Geruch von Bier und Kaffee.

Ein Ort mit Geschichte – tiefer als der Keller im Fels

Was ich als Kind nicht wusste – was ich erst Jahre später begriff – ist, wie alt dieser Ort ist. Wie viel Geschichte in ihm steckt. Der Felsenkeller entstand irgendwann gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Ein in den Fels gehauener Keller, ursprünglich zur Lagerung von Bier – wie es damals üblich war. Man trieb solche Keller tief in den Stein, füllte sie im Winter mit Natureis, um das Bier über den Sommer kühl zu halten. Über dem Felsenkeller entstand ein einfaches Gasthaus, mit Schankraum und – das war das Herzstück – einem großzügigen Garten mit Sitzplätzen im Grünen.

Die Lage war bewusst gewählt: Am Rand von Birkenfeld, beim Schönewald, in frischer Luft, etwas entfernt vom städtischen Alltag. Wer dorthin kam, kam, um sich zu erholen. Um aufzutanken. Um zusammen zu sein.

Ein gesellschaftlicher Treffpunkt – und Spiegel der Zeit

Um 1900 war der Felsenkeller ein Ort für alle Schichten. Der Landwirt kam genauso wie der Kaufmann, die Schneiderin genauso wie der Beamte. An Sonn- und Feiertagen zog es die Menschen hinaus – raus aus den stickigen Wohnungen, rein in die Natur. Was heute selbstverständlich scheint, war damals ein kleines Freiheitsversprechen: Freizeit. Geselligkeit. Und ein Bier unter freiem Himmel.

Das Foto, das aus jener Zeit erhalten ist – wohl um 1900 aufgenommen – zeigt genau das. Es zeigt gut gekleidete Damen in weißen Kleidern mit Hüten, Herren mit Gehrock und Strohhut, Kinder in Sonntagskleidung. Niemand wirkt gehetzt, niemand schaut auf die Uhr. Es war eine Zeit, in der man sich für das Vergnügen noch fein machte. Wo selbst der Ausflug ins Gartenlokal ein gesellschaftliches Ereignis war.

Ich sehe das Bild, und ich sehe darin nicht nur Geschichte – ich sehe einen Funken davon in meinen eigenen Erinnerungen. Natürlich trug in den 60er Jahren keiner mehr Gehrock oder Matrosenanzug, aber die Atmosphäre war geblieben. Die Bänke standen noch, die Bäume rauschten wie eh und je. Und die Menschen kamen – vielleicht nicht mehr mit Kutsche, aber mit Kinderwagen und dem guten Sonntagsanzug.

Der Felsenkeller als kultureller Knotenpunkt

Was der Felsenkeller für Birkenfeld war? Mehr als nur ein Wirtshaus. Er war kultureller Treffpunkt, gesellschaftlicher Ausgleich, soziales Bindeglied. Hier traf man sich nach der Kirche. Hier feierten die Gesangsvereine ihre Sommerfeste, hier wurde musiziert, getanzt, gelacht. Manchmal vielleicht auch gestritten. Aber vor allem: gelebt.

In einer Zeit, in der Freizeit noch Luxus war, waren solche Orte von unschätzbarem Wert. Sie schufen Raum für Begegnung. Für Musik. Für das, was man heute „Community“ nennt. Damals war es einfach nur: das Leben in Birkenfeld.

Der Felsenkeller war nicht allein. Überall in der Region, im Nahe-Hunsrück-Raum, gab es ähnliche Gartenlokale. Aber jeder Ort hatte seinen eigenen Charakter – und der Felsenkeller hatte diesen gewissen Zauber. Vielleicht war es die Kombination aus Wald, Bier, Kastanienbäumen und dem leichten Gefühl, für ein paar Stunden allem entkommen zu sein.

Mode, Etikette und Kindheit – der Zeitgeist im Biergarten

Auch wenn meine Erinnerung sich eher mit Limo und Streuselkuchen füllt als mit Bockbier und Zigarrenqualm – der Geist der alten Zeit war spürbar. Die Erwachsenen benahmen sich noch „gesittet“, Kinder saßen still (meistens), man kannte sich, man grüßte sich. Und es war klar: Der Felsenkeller war ein öffentlicher, aber respektvoller Ort.

Die alten Fotos zeigen Frauen mit eleganten Hüten, Männer mit ernstem Blick. Heute wirkt es fast steif – aber es war Ausdruck des damaligen Lebensgefühls: Haltung zeigen, sich benehmen, dabei aber dennoch genießen. Und auch in den 60ern galt das: Man ging nicht einfach in den Biergarten – man ging zum Felsenkeller.

Was geblieben ist – und was wir verlieren

Heute steht der Felsenkeller still. Kein Ausschank mehr. Keine Musik. Kein Kinderlachen unter den Kastanien. Aber die Erinnerungen leben. Und wer wie ich damals dort war, trägt ein kleines Stück dieses Ortes in sich.

Manchmal gehe ich heute noch vorbei. Schaue mir die alten Bäume an. Und wenn der Wind richtig steht, dann meine ich, sie flüstern: „Weißt du noch?“

Ich weiß es noch. Und ich werde es nie vergessen.


Ein Ort, der Geschichte atmet. Ein Ort, der unsere Herzen berührt hat. Der Felsenkeller – mehr als ein Lokal. Ein Stück Birkenfeld. Ein Stück Leben.

Wolfgang Herfurth – Mai 2025

Nach oben scrollen