Vergiss Berlin, fahr nach Ellenberg – das Dorf mit dem besseren Blick
Zwischen Dorfbrunnen und Betonwerk – ein Ort, den man leicht übersieht, aber nie vergisst


Wer mit dem Auto auf der B269 in Richtung Birkenfeld rollt, rauscht vermutlich achtlos an einem kleinen Schild vorbei: „Ellenberg“. Mehr ist es nicht. Keine Leuchtreklame, kein Ortseingang mit Blumentöpfen in Herzform, kein rot-weißer Hinweis auf das nächste Festival. Und doch beginnt hier, nur einen Steinwurf von der Kreisstadt entfernt, eine andere Welt – auf 444 Metern über dem Meer, im Herzen des Hunsrücks.
Rund 90 Menschen. 208 Hektar Fläche. Ein Dorf. Und ziemlich viel los.
Ellenberg – der Rand der Welt liegt überraschend zentral
Ellenberg liegt, das ist kein Witz, nur wenige hundert Meter nordwestlich von Birkenfeld, und trotzdem scheint es sich in einer ganz eigenen Zeitzone zu befinden. Vielleicht liegt es daran, dass man von manchen Punkten in Birkenfeld aus den Ort zwar sehen kann, aber nicht so recht versteht, ob er wirklich dazugehört. So ging es vielen – auch einem gewissen Jungen aus dem benachbarten Bergenfeld, der fest davon überzeugt war, Ellenberg sei ein Außenposten der Kreisstadt.
Weit gefehlt. Ellenberg ist eigenständig. Eigenwillig. Und eigensinnig schön.
Ein Ort, älter als mancher Stadtteil Berlins
1324 taucht der Ort erstmals in einer Urkunde auf – mit einem gewissen Peter Junker von „Ellingberch“, was nach Ritterrüstung und Knappenbrot klingt. Andere Quellen datieren Ellenbergs Debüt auf 1367. So oder so: Der Ort ist älter als so manche Großstadtverwaltung in Deutschland.
Und Ellenberg hat nicht nur das Mittelalter überlebt. Im Dreißigjährigen Krieg schrumpfte das Dorf auf gerade mal vier Familien. Der Wiederaufbau danach war keine kleine Sache: Um 1748 lebten über 100 Menschen in Ellenberg, mehr als heute. Kuriose Anekdote: Zwischen 1934 und 1952 fusionierte Ellenberg mit dem Nachbardorf Gollenberg – nicht aus Liebe, sondern aus Verwaltungsgründen. Die Beziehung hielt nicht.
Dorf mit Aussicht – und Anschluss
Geografisch gesehen liegt Ellenberg optimal: am Rand des Nationalparks Hunsrück-Hochwald, mit satten 49 Hektar Wald, gepflegten Wegen und einem Höhenzug, der bei guter Wetterlage mehr verspricht als jede Wetter-App. Und während Berlin auf U-Bahnen angewiesen ist, reicht hier ein Auto bis zur A62 – oder der Zug in Neubrücke, acht Kilometer entfernt, um die große Welt zu erreichen.
Wappen mit Geschichte – und Hammer
Ellenbergs Wappen ist ein eigenes Kapitel: Schachbalken, Hammer, Ähren – was klingt wie ein Fantasy-Wappen aus „Game of Thrones“, hat Hand und Fuß. Die rot-silberne Sponheimer Schachung erinnert an die einstige Zugehörigkeit zur Grafschaft Sponheim. Der Hammer? Symbol für historischen Bergbau. Und die drei goldenen Ähren stehen für Landwirtschaft, die hier einst jeden Quadratmeter beackerte. Heute eher symbolisch – aber die Ähre lebt.
Wirtschaftswunder auf Hunsrück-Art
Klar, Ellenberg hat keine Shopping-Mall, aber:
- Ristorante Bella Vista serviert Pizza mit Ausblick – und ersetzt seit 1997 die gute alte Dorfgaststätte.
- Hausgeräte Diehl liefert Kühlschränke, Waschmaschinen und den neuesten Herd – nicht aus dem Internet, sondern mit Handschlag.
- Der Basalt-Steinbruch ist nicht nur spektakulär anzusehen, sondern auch wirtschaftlich wichtig: In Kooperation mit der Basalt AG wird hier Gestein aus dem Hunsrück geholt.
- Die Heidelberger Beton GmbH und die EHL AG sorgen dafür, dass Ellenberg nicht nur idyllisch, sondern auch industriell effizient ist – Beton trifft Beschaulichkeit.
Das gibt’s nicht mal in mancher Mittelstadt.
Ein Ort lebt nicht nur von Einwohnern – sondern von Herz
Ellenberg war nie groß, aber immer echt. 1835 zählte man 114 Seelen, in den 1990ern dümpelte man bei 52 dahin. Heute liegt man stabil bei rund 90 Ellenbergerinnen und Ellenbergern, Tendenz: sympathisch konstant. Die Bevölkerung ist bunt gemischt, mit Familien, Kindern, Alteingesessenen, Neuzugezogenen – und einem ausgeprägten Sinn für Gemeinschaft.
Beispiel gefällig? Der Mehrgenerationenplatz. Entstanden 2015 – gefördert, geplant, umgesetzt von Menschen vor Ort. Es gibt dort Wellnessbänke, E-Bike-Ladestationen, einen Spielplatz, Boule-Platz, sogar ein Basketballfeld. Und ja: Solarstrom gibt’s auch. Berlin, was kannst du?
Kultur? Ja, aber auf Ellenberger Art
Zweimal im Jahr wird es richtig gemütlich:
- Das Brunnenfest am historischen gusseisernen Dorfbrunnen (ein Denkmal!), mit Musik, Wurst und Gemeinschaft.
- Die Glockenkirmes – obwohl der Ort keine eigene Kirche hat, ist das Fest geblieben. Die Glocke fehlt, die Stimmung nicht.
Dazu kommt der „Dreck-weg-Tag“, organisiert von der Freiwilligen Feuerwehr Ellenberg – die übrigens weit mehr leistet als Brände löschen. Sie ist Taktgeber des Dorflebens.
Die halbe Eiche und das ganze Gefühl
Ein echtes Wahrzeichen steht oberhalb des Dorfes: Eine vom Blitz gezeichnete alte Eiche, halb verbrannt, aber voller Geschichte. So bedeutungsvoll, dass ihr eine Einwohnerin ein Gedicht widmete – in Mundart, versteht sich. Wer hier vorbeikommt, hält inne. Und denkt nach. Über Dorfgemeinschaft, über Standhaftigkeit. Oder einfach darüber, wie viel man eigentlich nicht weiß über so kleine Orte.
Ellenberg in den Medien – ganz groß im Kleinen
Der SWR widmete Ellenberg einen Beitrag in der Serie „Hierzuland“, und auch in der Nahe-Zeitung oder beim Trierischen Volksfreund taucht der Ort auf. Nicht ständig – aber dann mit Substanz.
Fazit: Ellenberg ist nicht alles. Aber ohne Ellenberg ist alles nichts.
Ellenberg ist der Beweis, dass Größe überschätzt wird. Hier wird angepackt, nicht palavert. Hier wird gefeiert, gebaut, gestritten, versöhnt – wie überall, nur ehrlicher. Wer an Berlin denkt, denkt an Verkehr, Lautstärke und verlorene Bauprojekte. Wer nach Ellenberg kommt, findet Ruhe, Menschen mit Haltung und einen Dorfbrunnen, an dem Geschichten erzählt werden, die keine Hauptstadt kennt.
Und ganz ehrlich: Wer will denn schon an der Spree sitzen, wenn man auf der Wellnessbank mit Blick auf den Nationalpark chillen kann?
Vergiss Berlin. Fahr nach Ellenberg. Da gibt’s zwar keinen Fernsehturm, aber einen besseren Blick aufs Leben.
Wolfgang Herfurth – April 2025