Elisabeth Stiftung140 Jahre Nähe :

Wie Birkenfeld sein Krankenhaus aus Bürgergeist gebaut und bis heute weiterentwickelt hat.

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Illustration – Elisabethstiftung

Lesezeit ca. 9 Minuten:

Kurzfassung (90 Sekunden)

  • 1883 Protektorat der Großherzogin Elisabeth → Frauenverein; 7.2.1885 Eröffnung des Elisabeth-Krankenhauses.
  • 1938 Zuordnung zum DRK; Start der formalen Krankenpflegeausbildung.
  • 1951 Versehrtenfachschule (mit IKRK/Favre) als Keimzelle des späteren BFW.
  • 1966 Gründung der Elisabeth-Stiftung (DRK): Krankenhaus, BFW, Bildungsstätte für Sozialwesen unter einem Dach.
  • 2023 neuer OP-Trakt; 2025 Auszeichnung „Deutschlands beste Krankenhäuser“; heute 135 Betten, ANOA-Schmerzkonzept, Pflegeschule mit 40 Plätzen.

Vorspann (fiktiv, an historischen Abläufen orientiert) – Frühjahr 1883



NÄHE STATT FERNE

Die historische Geschichte der Elisabeth-Stiftung Birkenfeld (1883–2025)

Der Anfang: Bürgergeist mit Bahnanschluss (1883–1885)

Die Schiebetür des neuen OP-Baus gleitet leise zur Seite. Dahinter: zwei Säle, ein Aufwachraum, kurze Wege, klare Abläufe. Als der Trakt am 22. Mai 2023 offiziell eingeweiht wird – der Betrieb lief bereits seit dem 10. Januar – zeigt sich auf engstem Raum, was Birkenfeld seit jeher ausmacht: erst arbeiten, dann feiern. Nähe ist hier keine Überschrift, sondern Arbeitsweise.

Bevor ein Bett bezogen wird, braucht eine Stadt den Mut, groß zu denken. Birkenfeld ist 1883 eine kleine Residenz, aber sie ist im Aufbruch. Drei Jahre zuvor hat die Stichbahn an die Nahetalbahn angeschlossen; Material, Ärzte, Verbandsstoffe, Spender und Besucher erreichen den Ort nun schneller. In diesem Klima gründet sich 1882/83 der lokale Zweig des Vaterländischen Frauenvereins – unter dem Protektorat der Großherzogin Elisabeth von Oldenburg. Es ist ein Akt der Bürgerschaft, nicht des Staates. Man sichert ein Grundstück, sammelt Mittel, organisiert den Betrieb. Am 7. Februar 1885 öffnet das einstöckige Elisabeth-Krankenhaus: 25 Betten, ein kleines Pflegeteam, ärztlich geführt vom Haus- und Distriktsarzt Dr. Flick. Und weil Nähe auch Fürsorge bedeutet, richtet man einen Suppenverein ein – eine warme Mahlzeit für die, die nichts haben. Aus einer Idee wird Infrastruktur. Aus Ferne wird Nähe.

Handwerk der Fürsorge (1885–1914)

Die ersten Jahre sind leiser Fortschritt. Ein Operationsraum entsteht, der auch niedergelassenen Ärzten für kleinere Eingriffe offensteht – frühe Kooperation statt Konkurrenz. Ein Isolierhaus trennt Ansteckendes, besonders die Kindertuberkulose. Die Bahn liefert, was gebraucht wird; Pflegeschülerinnen und Patienten finden den Weg in die Stadt. So wächst ein kleines Haus in eine große Aufgabe hinein.

Kriegsjahre und Neuordnung (1914–1930)

Der Erste Weltkrieg unterbricht die Routine. Das Krankenhaus dient als Reservelazarett; nach dem Waffenstillstand belegen Besatzungsbehörden Räume. Und doch bleibt der Faden nicht gerissen: Ende der 1920er modernisiert man grundlegend – ein nüchterner, aber entscheidender Schritt, um in schwierigen Zeiten arbeitsfähig zu bleiben.

Walter Bleicker – Verlässlichkeit über Jahrzehnte (1930–1980)

KH Baracken restauriert web mit Bildunterschrift

Am 1. April 1930 tritt Walter Bleicker in den Verwaltungsdienst ein. 1938 übernimmt er die Leitung des Hauses. An seiner Seite arbeitet in den folgenden Jahren Karl Breitenbruch, der im Krieg zu einem der prägenden Mitstreiter wird.
Es ist die Zeit der Gleichschaltung: Der Frauenverein als Träger wird aufgehoben, das Krankenhaus dem Deutschen Roten Kreuz zugeordnet. Im selben Jahr startet die formale Krankenpflegeausbildung.

Ab 1939 wird das Elisabeth-Krankenhaus zum Reservelazarett umfunktioniert. Zeitweise müssen bis zu 700 Verwundete gleichzeitig versorgt werden – Baracken entstehen auf dem Gelände, weitere Patienten werden in städtische Gebäude ausgelagert. Die Bewältigung dieser Mammutaufgabe gelingt nur durch den außergewöhnlichen persönlichen Einsatz von Walter Bleicker und seinem Kollegen Karl Breitenbruch, die den Betrieb unter Druck ordnen, Wege freihalten und die Versorgung Tag für Tag sichern. Der Ton dieser Jahre ist nicht laut, sondern beharrlich: planen, vermitteln, möglich machen.

Aufbruch nach 1945

Nach 1945 richtet sich der Blick nach vorn. 1947 entsteht eine Heilstätte für tuberkulosekranke Kinder, später zum Hochwaldsanatorium ausgebaut – eine konkrete Antwort auf die Volkskrankheit der Zeit.

1951: Die Versehrtenfachschule – Keimzelle des BFW

Am 1. Oktober 1951 nimmt die Versehrtenfachschule den Betrieb auf – Ergebnis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Walter Bleicker und Denis Favre, dem Delegierten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Bad Kreuznach. Favre koordinierte in dieser Phase Sachspenden und Zahlungen für mehrere Standorte („Don de machines et de matériel à Bad Pyrmont, Rothenburg, Stuttgart et Birkenfeld, paiements effectués par Denis Favre, délégué du CICR à Bad-Kreuznach“, IKRK-Archiv; Fundstelle wird nachgetragen) und vertrat das IKRK bei der Wiedergründung des DRK am 25. Mai 1951 in Bonn. In Birkenfeld wurde aus Reha eine berufliche Perspektive: Die Versehrtenfachschule bildet die Keimzelle des späteren Berufsförderungswerks (BFW) Birkenfeld. Von da an greifen Behandlung, Rehabilitation und Ausbildung ineinander – Hilfe nicht nur bis zur Entlassung, sondern bis zur Rückkehr ins Leben.

1966: Die Stiftung – Form, die trägt

1966 erhält die gewachsene Struktur eine Form, die trägt: Der DRK-Kreisverband errichtet die Elisabeth-Stiftung des Deutschen Roten Kreuzes zu Birkenfeld/Nahe als rechtsfähige öffentliche Stiftung – maßgeblich vorangetrieben vom damaligen Verwaltungsratsvorsitzenden Dr. Walter Beyer, der sein ganzes Gewicht gegen Widerstände auf Landesebene in die Waagschale warf. Unter ihrem Dach bündeln sich Krankenhaus, Berufsförderungswerk und die Bildungsstätte für Sozialwesen; später kommen Jugendwerk und Seniorenzentrum hinzu. Der Stiftungszweck bleibt bewusst nüchtern und weit: heilen, pflegen, rehabilitieren, bilden – und die nötigen Einrichtungen dafür unterhalten. 1980 geht Bleicker nach fünf Jahrzehnten Dienst in den Ruhestand. Seit 2012 trägt die Adresse des Verbundes seinen Namen: Walter-Bleicker-Platz 1.

Hundert Jahre – und die Gewissheit (1985)

Zum 100-jährigen hält das Haus inne. Eine Festschrift zieht Bilanz: Aus der bürgerlichen Initiative ist eine tragfähige Institution geworden. Es ist keine Zurschaustellung, eher eine Selbstvergewisserung – und der Auftrag, den Anfangsgedanken modern zu halten.

Führung mit langem Atem: Dr. Wolfgang Schneider (1991–2017)

Mit Dr. Wolfgang Schneider bekommt die Stiftung am 1. Dezember 1991 einen geschäftsführenden Vorstand, der über ein Vierteljahrhundert Kurs hält. Er führt Klinik, BFW und die Bildungsstätte für Sozialwesen durch Strukturwandel und Kostendruck, verankert Qualität und Kooperation – leise Integration statt lauter Parolen. 2017 übergibt er den Stab; die Region verabschiedet ihn sichtbar und anerkennend.

Förderung, die man nicht sieht – aber spürt (2009)

Nicht jede Weichenstellung trägt ein Band und eine Rede. Am 1. Juli 2009 bewilligt Malu Dreyer, damals Sozial- und Gesundheitsministerin, 420.000 Euro für die Sterilgutversorgung. Unsichtbar, aber zentral: Ohne sterile Instrumente keine sichere Chirurgie. Diese Starthilfe bereitet die spätere OP-Modernisierung vor.

Werkzeug statt Pose: der OP von 2023

Nach rund zweieinhalb Jahren Bauzeit geht der neue OP-Trakt am 10. Januar 2023 in Betrieb; am 22. Mai 2023 wird er offiziell eingeweiht. Zwei Säle, ein Aufwachraum, klare Wegeklare Prozesse statt Prestige. Das Land bekennt sich zur wohnortnahen Versorgung.

Gegenwart: Was Nähe heute bedeutet

Das Krankenhaus der Elisabeth-Stiftung ist ein Haus der Grundversorgung mit 135 Planbetten und einer Pflegeschule mit 40 Ausbildungsplätzen.
Medizinisch setzt es Akzente in Innerer Medizin und Chirurgie sowie in der Konservativen Orthopädie mit interdisziplinärer Schmerztherapie nach dem ANOA-Konzept – spezialisierte, nicht-operative Behandlung von Rücken-, Gelenk- und Schmerzpatienten, interdisziplinär und leitliniennah.

Beispielweg: Ein 50-jähriger Schichtarbeiter mit chronischen Rückenschmerzen wird stationär konservativ stabilisiert, schließt die medizinische Reha an, wechselt direkt in eine passende Umschulung am Berufsförderungswerk und startet anschließend eine wohnortnahe Tätigkeit – alles mit kurzen Wegen und einem durchgehenden Plan.

Chefärzte heute (Stand: August 2025)

Innere Medizin: Dr. med. Asim Akkaya (Chefarzt; zugleich Ärztlicher Direktor)
Chirurgie: David Emerson (Chefarzt)
Konservative Orthopädie: Dr. med. Stephan Ellinger (kommissarische Leitung, Leitender Oberarzt)

Nähe ohne Schienen – und doch mit System

Die Stichbahn Neubrücke–Birkenfeld war 1880 der Starthelfer. 1962 endet der Personenverkehr, 1991 der Betrieb insgesamt. Heute sichern Straßen und Rettungswege die Erreichbarkeit. Entscheidend geblieben sind die kurzen Distanzen zwischen Hausarzt, Klinik, Reha und Ausbildung – verlässliche Abläufe statt großer Geste.

Anerkennung von außen (2025)

Im August 2025 kommt ein nüchternes Nicken von außen: In der Studie „Deutschlands beste Krankenhäuser 2025“ führt das Birkenfelder Krankenhaus in Rheinland-Pfalz die Größenklasse 50 bis unter 150 Betten an. Nicht zum Ausruhen – aber als Bestätigung, dass der Birkenfelder Weg funktioniert.

Schlussbild

1883 war Nähe eine Idee auf Papier, 1885 ein Bett im Ort und ein Arzt, der nachts aufsteht. 1947 wurde sie zum Schutzraum für kranke Kinder; 1951 zur Brücke zurück ins Arbeitsleben; 1966 zur verlässlichen Form einer Stiftung. 2009 stärkte sie das Unsichtbare, 2023 bekam sie zwei neue OP-Säle, 2025 wurde sie ausgezeichnet. Birkenfeld hat aus einer bürgerlichen Idee eine dauerhafte Form gemacht – und diese Form hält.


Dank

Dank an Dr. Wolfgang Schneider für wertvolle Hinweise

Persönliches Wort von Wolfgang Herfurth, Birkenfelder

Ich bin in Birkenfeld geboren und 71 Jahre alt. Dieses Krankenhaus hat mich mein Leben lang begleitet: Ich selbst bin hier geboren worden – ebenso meine Geschwister – und später sind hier auch meine beiden Kinder zur Welt gekommen. Ich wurde hier behandelt und habe erlebt, was „Nähe statt Ferne“ bedeutet. Ich gratuliere der Elisabeth-Stiftung und ihrem Krankenhaus von Herzen und wünsche mir für meine Heimatstadt, dass dieses Haus uns noch lange erhalten bleibt. Die Auszeichnung 2025 in „Deutschlands beste Krankenhäuser“ bestätigt für mich, dass gerade kleinere, spezialisierte Häuser wie das Elisabeth-Krankenhaus ihre volle Berechtigung haben.

Wolfgang Herfurth – September 2025

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