
Herbert Wilhelm Wild: Aufstieg und Fall eines Nationalsozialisten – Ein Spiegel seiner Zeit
Die Welt zu Beginn des 20. Jahrhunderts war eine Zeit des Wandels, der Umbrüche und der Extreme. Es war eine Ära, in der wirtschaftlicher Aufschwung und technischer Fortschritt Hand in Hand gingen mit politischen Turbulenzen, Kriegen und ideologischen Kämpfen. In dieser Zeit wurde Herbert Wilhelm Wild geboren – ein Mann, dessen Lebensweg beispielhaft für viele Karrieren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts steht: gezeichnet von ehrgeizigem Aufstieg, politischer Macht und tiefem Fall nach dem Ende der NS-Herrschaft.
Von Idar in die Welt: Ein Leben zwischen Edelsteinen und Politik
Am 26. März 1886 kam Wild in Idar zur Welt, einer Stadt, die für ihr Edelsteingewerbe bekannt war. Seine Familie war tief in dieser Branche verwurzelt, sein Vater Karl August Wild als Kaufmann, seine Mutter Emilie Becker als Ehefrau eines Geschäftsmannes in einer wohlhabenden, aber traditionellen Gesellschaft. Der junge Wild absolvierte die mittlere Reife, bevor er sich – wie es damals nicht unüblich war – sowohl in einem kaufmännischen Beruf als auch im Handwerk des Edelsteinschleifens ausbilden ließ.
Wie viele junge Männer seiner Zeit zog es ihn in die Ferne. 1905 verließ er Deutschland, um in den Vereinigten Staaten zu arbeiten – eine Zeit, in der zahlreiche Deutsche in Amerika ihr Glück suchten. Doch Wild kehrte zurück und arbeitete ab 1909 in Brasilien, einem weiteren Sehnsuchtsort für deutsche Auswanderer.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 brachte sein Nomadenleben abrupt zu einem Ende. Wild kehrte nach Deutschland zurück und diente bis zum Kriegsende als Leutnant in der Landwehr. Danach widmete er sich erneut dem Edelsteingeschäft in Idar. Doch die Nachkriegsjahre waren politisch aufgeladen: Inflation, wirtschaftliche Unsicherheit und die Suche nach neuen politischen Identitäten prägten das Land. In dieser Zeit fand Wild seinen Weg in die Politik.
Vom konservativen Nationalisten zum NSDAP-Kreisleiter
Zunächst engagierte sich Wild in der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), einer stramm rechten Partei, die viele ehemalige Monarchisten und konservative Eliten versammelte. Von 1923 bis 1928 leitete er die Ortsgruppe in Idar. Doch die DNVP verlor zunehmend an Bedeutung, während die NSDAP unter Adolf Hitler wuchs. Wild wechselte 1928 die Seiten und trat der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 100.388).
Sein neuer Weg in der nationalsozialistischen Bewegung führte ihn rasch nach oben. Er gründete den Landesverband Birkenfeld und wurde dessen Führer. Seine politischen Ambitionen brachten ihn schließlich 1931 als Vertreter der NSDAP in den Oldenburgischen Landtag. Als Hitler 1933 die Macht übernahm, eröffnete dies Wild neue Möglichkeiten.
Noch vor der Machtergreifung wurde Wild bereits am 21. Oktober 1932 zum oldenburgischen Staatskommissar für Birkenfeld ernannt – eine Schlüsselposition, die ihm massive Einflussmöglichkeiten gab. Nach 1933 wurde er Regierungspräsident des Landesteils Birkenfeld, allerdings nur durch eine eigens für ihn geänderte Gesetzeslage. Denn eigentlich war für dieses Amt ein Volljurist vorgeschrieben – eine Qualifikation, die Wild nicht mitbrachte. Die nationalsozialistische Willkür machte es dennoch möglich.
Machtmissbrauch und Intrigen in der NS-Hierarchie
Wilds Karriere verlief nicht ohne Schattenseiten. 1936 wurde er wegen Körperverletzung verurteilt, ein seltener Fall, in dem die NS-Justiz gegen einen ihrer Funktionäre vorging. Doch das änderte nichts an seinem Einfluss.
Mit dem Inkrafttreten des Groß-Hamburg-Gesetzes 1937 änderten sich die politischen Strukturen, und der Landesteil Birkenfeld wurde in Preußen eingegliedert. Wild verlor daraufhin seinen Posten als Regierungspräsident – doch nicht seine Macht. Am selben Tag wurde er Landrat von Birkenfeld.
Politische Rivalitäten machten ihm jedoch das Leben schwer. Er legte das Amt des Kreisleiters nieder, sein Nachfolger wurde Ernst Diedenhofen – eine Personalie, die für Wild schwer zu ertragen war. Die beiden entwickelten sich zu erbitterten Gegnern. Als Wild erkannte, dass er Diedenhofen nicht auf normalem Wege loswerden konnte, griff er zu einem taktischen Trick: 1943 übernahm er selbst wieder das Amt des Kreisleiters, um seinen Rivalen zu entmachten.
Das Ende des Regimes und die juristische Aufarbeitung
Mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes 1945 kam auch das Ende von Wilds politischer Karriere. Wie viele NS-Funktionäre wurde er interniert und saß bis April 1949 in Haft. Doch seine Vergangenheit holte ihn auch nach der Entlassung ein.
Im Rahmen der Entnazifizierung wurde Wild 1951 als „Hauptbelasteter“ eingestuft. Die Folgen waren gravierend: Er durfte kein öffentliches Amt mehr ausüben, verlor alle Rechtsansprüche auf ein staatliches Ruhegehalt und musste sich mit einem stark eingeschränkten Leben arrangieren.
Doch wie bei vielen ehemaligen NS-Funktionären milderten sich die Urteile in den folgenden Jahren. 1957 wurde ein Verfahren wegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit gegen ihn eröffnet – doch es endete mit einem Freispruch mangels Beweisen. Wild konnte seinen Lebensabend in relativer Ruhe verbringen.
Am 17. Dezember 1969 verstarb Herbert Wild in Idar-Oberstein.
Fazit: Ein Leben im Schatten der Geschichte
Herbert Wilhelm Wilds Biografie ist exemplarisch für viele Karrieren im nationalsozialistischen Deutschland: Ein Mann, der aus einfachen Verhältnissen kam, sich durch seine politische Überzeugung nach oben arbeitete, die Macht der NSDAP für seine Zwecke nutzte und schließlich tief stürzte, als das Regime zusammenbrach.
Seine Geschichte zeigt, wie eng persönliche Ambitionen mit den großen politischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts verknüpft waren. Sie wirft Fragen auf über Verantwortung, Opportunismus und die Mechanismen von Macht – und dient als mahnendes Beispiel für die Verführbarkeit durch totalitäre Ideologien.