Urkunden, Irrtümer, Enthüllungen: Ein Heimatforscher stellt die Geschichte auf den Kopf

Oberbrombach – Ein Dorf zwischen Vergangenheit, Aufbruch und Heimatgefühl
Oberbrombach. Ein Ort, der für manche nur ein Schild am Straßenrand ist – auf dem Weg zur Arbeit nach Idar-Oberstein, auf dem Weg zur Schule, zum Arzt, zum Einkaufen. Für andere ist es Heimat. Ein Ort mit Fernblick, Waldluft, Kirchturmglocken. Ein Dorf, das auf der Höhe liegt – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Wer auf der B41 aus Birkenfeld kommend durch Oberbrombach fährt, der kennt diesen einen besonderen Moment: Am höchsten Punkt des Orts zeigt sich das Nahetal, und am Horizont – wie eingebrannt – die Silhouette der Artillerieschule von Idar-Oberstein. Für viele ein vertrauter Blick, für manche ein halbes Berufsleben.
Und dann das: 2024 widerlegt der Heimatforscher Freimut Heiderich einen jahrhundertealten Irrtum. Die sogenannte Egbert-Urkunde von 981, auf die sich viele Historiker stützten, ist eine Fälschung – entstanden nicht im 10. Jahrhundert, sondern erst 1215. Oberbrombach war also nicht schon im 10. Jahrhundert urkundlich erwähnt. Eine kleine Randnotiz? Keineswegs. Eine historische Korrektur, die nicht nur in der Universitätsbibliothek Heidelberg für Aufsehen sorgte – sondern die regionale Geschichtsschreibung justierte.
Doch was ist Oberbrombach wirklich? Der folgende Beitrag erzählt die ganze Geschichte – von der mittelalterlichen Pest bis zum heutigen Spießbraten-Abend, von Auswanderern, Schleifern, Kerwekindern und Pionieren, von Tradition, Wandel und Weitblick.
Der Ursprung: Urkunden, Straßenkreuzungen und ein leerer Ort
Erstmals wird Oberbrombach 1324 urkundlich erwähnt. Damals gelobten zwölf Männer in einer Urkunde der Gräfin Loretta von Sponheim, dass sie die Abwanderung aus dem Ort verhindern würden. Ein ungewöhnlicher Schwur – doch verständlich: Denn das Dorf lag an einem bedeutenden Knotenpunkt mittelalterlicher Straßen. Eine Route führte von Metz über Birkenfeld nach Oberstein, die andere verband die Pferdshöhe mit der Mosel und dem Glantal.
Damals zählte man etwa 10 bis 12 Familien – für das Mittelalter ein ansehnlicher Ort. Doch im späten 14. Jahrhundert geschah das Unvermeidliche: Die Pest wütete, das Dorf wurde verlassen. 1438 erwähnt das Sponheimer Gültbuch zehn Bauernstellen – aber keine Bewohner.
Erst 1465 lebten wieder vier Familien im Ort. Dann kamen mehr: 1563 zählte man 12 Familien, 1607 waren es 27. Doch die Hoffnung hielt nicht lange – der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) ließ Oberbrombach erneut fast verwaisen. Nur sieben Familien überlebten.
Aber der Hunsrück kennt keinen Stillstand. 1723 waren es wieder 17 Bauerngehöfte, 81 Einwohner. 1777 dann 34 Familien mit rund 160 Bewohnern. Es wurde eng. Konflikte mit Nachbardörfern wie Rötsweiler oder dem Winnenberger Hof um Weiderechte und Grenzverläufe nahmen zu. Um den Druck zu lindern, begann man ab 1780, gemeindeeigenes Land an Bürger zu vergeben, um Erträge zu steigern.
Das 19. Jahrhundert: Armut, Auswanderung – und Achatschleifen
Das 19. Jahrhundert brachte neue Herausforderungen. Zwischen 1830 und 1890 wanderten 91 Oberbrombacher nach Nord- und Südamerika aus. Der Hauptgrund: bittere Armut. Doch es gab auch Perspektiven. Viele begannen im Nebenerwerb mit dem Schleifen von Achaten – in den Wasserschleifmühlen am Schwollbach und an der Nahe.
Um 1850 wurde sogar eine eigene Wasserschleifmühle auf Oberbrombacher Gemarkung errichtet. Sie existierte jedoch nur wenige Jahre – 1856 wurde sie wieder abgerissen, als die Rhein-Nahe-Bahn gebaut wurde.
Ein echter Meilenstein war 1884: Die örtlichen Bauern schafften gemeinsam eine Dampfdreschmaschine an – betrieben durch die „Dampf-Dresch-Actiengesellschaft Oberbrombach“. Die Maschine kam auch in umliegenden Dörfern zum Einsatz.
Und die Gemeinde? Sie wurde reich – durch kluge Holzwirtschaft. Man schlug systematisch die Eichen- und Kiefernwälder kahl, verkaufte Holz und Eichenrinde („Loh“) mit großem Gewinn. So entstand eines der größten Gemeindevermögen der Region. Die Einnahmen wurden verzinst verliehen oder in Obligationen angelegt.
Investitionen: Bildung, Wasser, Strom – Fortschritt auf Hunsrück-Art
Mit diesem Geld wurde nicht geprasst – sondern investiert. 1825 stellte man ein Hirtenhaus als provisorisches Schulgebäude bereit. 1842 folgte das erste feste Schulhaus. 1887 wurde ein eigener Friedhof angelegt.
1908 schuf man eine zentrale Wasserversorgung aus zwei Quellen bei Leisel – mit rund 6 Kilometern Leitung. 1911 baute man ein größeres Schulhaus mit Glockenturm. 1912 kam der Strom: Die Dreschmaschine lief nun elektrisch, ebenso viele Schleifmaschinen im Ort – in angebauten Schleifräumen. Die Wege zu den Mühlen entfielen – ein echter Fortschritt.
Kriege, Wandel, Schleiferbauern
Mit dem Ersten Weltkrieg setzte der nächste Bruch ein. Die Gemeinde investierte große Summen in Kriegsanleihen – ein Fiasko. Nach 1918 war das Geld verloren, Oberbrombach musste Kredite aufnehmen.
Doch auch neue Impulse kamen: In den 1920ern siedelten sich die ersten Edelsteinschleifer im Ort an. Die Diamantschleiferei florierte. Zwischen den Weltkriegen waren mehr als die Hälfte der Familien „Schleiferbauern“ – sie kombinierten Landwirtschaft und Edelsteinschleifen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte das Dorf einen tiefgreifenden wirtschaftlichen Wandel. Die Landwirtschaft verlor rapide an Bedeutung, und auch die Schleifereien verschwanden bis in die 1960er-Jahre fast vollständig.
Verwaltung & politische Zugehörigkeit: Vom Fürstentum zur Verbandsgemeinde
Historisch gehörte Oberbrombach zur Hinteren Grafschaft Sponheim, später unter Napoleon zum Saardepartement. Nach dem Wiener Kongress 1815 fiel die Region ans neu geschaffene Fürstentum Birkenfeld, das ab 1817 zum Großherzogtum Oldenburg gehörte – eine Exklave, weit entfernt vom eigentlichen Oldenburg.
1937 wurde Oberbrombach preußisch, nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der französischen Besatzungszone und schließlich 1946 Teil von Rheinland-Pfalz. Seit 1973 gehört das Dorf zur Verbandsgemeinde Birkenfeld.
Heute wird Oberbrombach von einem ehrenamtlichen Ortsbürgermeister und einem 8-köpfigen Gemeinderat verwaltet. Björn Symanzik wurde am 9. Juni 2024 als einziger Kandidat mit 63,7 % der Stimmen gewählt. Er trat am 2. Juli 2024 die Nachfolge von Rüdiger Scherer (2017–2024) an, der wiederum Helmut Brächer (2006–2017) abgelöst hatte.
Kultur, Feste, Vereine – Gemeinschaft auf Hunsrücker Art
Trotz seiner Größe hat Oberbrombach ein lebendiges Vereinsleben:
- TuS Oberbrombach: Breitensport für alle Altersgruppen
- Freiwillige Feuerwehr: Brandschutz & Sommerfest
- Angler- und Naturschutzverein (gegründet 1982): Forellenfest & Umweltschutz
- Chor „Allegro“: Nachfolger des Männergesangvereins von 1919 – 2019 wurde das 100-jährige Bestehen gefeiert
Ein Höhepunkt im Jahreskalender ist die Kerb im Herbst: Die Straußjugend stellt den geschmückten Kirmesbaum, schreibt eine gereimte Ortschronik („Kirmesstrauß“) in Mundart und zieht durch den Ort. Höhepunkt: das symbolische Begräbnis der Kerb – Tradition mit einem Augenzwinkern.
Ein weiteres Ritual: der Spießbraten-Abend um 18 Uhr – täglich, wenn die Dorfglocke schlägt, versammeln sich Menschen an der Grillhütte nahe dem Wohnmobilstellplatz „Höhenblick“, um gemeinsam den berühmten Idar-Obersteiner Spießbraten zu genießen. Hier wird Gemeinschaft gegrillt.
Tourismus, Wandern, Natur
Der Wohnmobilstellplatz „Höhenblick“, betrieben von Walter Grün, ist ein Geheimtipp unter Campern. Täglicher Spießbraten, Lagerfeuer, Fernsicht – echte Hunsrück-Gastfreundschaft.
Rund um Oberbrombach führen vier ausgeschilderte Rundwanderwege durch Wälder, Wiesen, Aussichtspunkte – Längen: 5,4 km, 7,1 km, 9,4 km. Startpunkt: Dorfgemeinschaftshaus in der Hauptstraße 31. Auch der Saar-Hunsrück-Steig ist nicht weit.
Sehenswert:
- Dorfgemeinschaftshaus mit Glockenturm (ehem. Schule von 1911)
- Zwei unter Schutz stehende Linden
- Historischer Dorfbrunnen mit Sandsteintrog
- Wald „Atzenkleb“ mit Bergwerksresten
- Schellenmühle (heute Wohnhaus, privat)
Geografie & Infrastruktur: Zwischen Fernblick und DSL
Oberbrombach liegt im südwestlichen Hunsrück, 8 km nördlich von Birkenfeld, auf einer Anhöhe – der Brombacher Höhe. Das Dorf umfasst 656 ha, davon 50 % Wald. Es gibt zwei Außenbereiche: die Siedlung „Im Gärtel“ und das Einzelgehöft Schellenmühle.
Verkehrsanbindung: B41, Buslinien, nächster Bahnhof in Idar-Oberstein.
Infrastruktur: Spielplatz, Bolzplatz, Grillhütte, Gemeinschaftshaus – kein Supermarkt, aber mobiler Bäckerwagen. Seit 1908 zentrale Wasserversorgung, seit 2019 schnelles DSL und Glasfaser.
Das Neubaugebiet „Am Hirnberg“ bietet neue Bauplätze – zuletzt 2024 erweitert. Beliebt bei Rückkehrern und jungen Familien.
Fazit: Geschichte lebt – auch wenn sie korrigiert werden muss
Oberbrombach ist mehr als ein Dorf. Es ist ein Ort, der immer wieder neu begonnen hat. Der Ursprünge hinterfragt, Traditionen pflegt und Zukunft gestaltet. Und manchmal braucht es eben einen wie Freimut Heiderich, der das große Ganze im Kleinen sieht – und mit einem Fund die Geschichte verändert.
Wolfgang Herfurth – April 2025