Der Zauber der Petersquelle: Eine Kindheit zwischen Eisenwasser und Familienausflug

Es gibt Orte, die in der Erinnerung leuchten. Kleine Punkte auf der Landkarte der Kindheit, die sich einbrennen wie der Geruch frisch gemähten Grases oder das Knacken trockener Zweige im Spätsommerwald. Für viele ist es vielleicht ein altes Kino oder ein Fußballplatz. Für mich war es ein unscheinbares Plätzchen am Waldrand nahe Oberhambach im Hunsrück – die Petersquelle. Ein Ort, der mehr war als nur eine sprudelnde Quelle. Ein Stück Heimat. Ein Spiegel der Zeit.

Ein VW Käfer, sieben Kilometer und die große Welt

Es war in den 1960er Jahren. Die Welt draußen tobte – Beatmusik, Mondlandung, Wirtschaftswunder. Und in unserem beschaulichen Birkenfeld, der Kreisstadt, bekam die Familie das erste Auto: ein blauer VW Käfer. Damals fühlte sich jeder Ausflug an wie eine Expedition. Und einer der liebsten Ziele war der „Hambacher Sauerbrunnen“. Kein Wellnesshotel, kein Thermenresort – ein Brunnen im Wald. Und doch: welche Magie lag in diesem Ort.

Wir füllten Flaschen mit dem mineralischen Wasser, das so ganz anders schmeckte als das daheim aus dem Hahn. Eisenhaltig, sprudelnd, rau auf der Zunge. Die Erwachsenen nannten es „gesund“, wir Kinder fanden es spannend. Wer mutig war, trank es gleich aus der Hand – wer klug war, nahm einen Krug mit.

Ein Brunnen mit Geschichte: Von Römern, Fürsten und französischen Truppen

Was wir als Ausflugsziel liebten, blickte auf eine Geschichte zurück, die älter war als jedes unserer Geschichtsbücher. Bereits in römischer Zeit war das eisenhaltige Wasser bekannt – Steine mit Abbildungen von Quellgöttern wurden in der Umgebung gefunden. Es war ein Ort, an dem Menschen seit Jahrhunderten glaubten, Kraft und Heilung zu finden.

Die erste schriftliche Erwähnung eines Kurbetriebs stammt aus dem späten 15. Jahrhundert. Besonders im 16. Jahrhundert blühte die Quelle auf: 1573 wurde sie wiederentdeckt, namhafte Mediziner wie der Straßburger Stadtarzt Sigismund Roth und der berühmte Tabernaemontanus untersuchten das Wasser. Herzog Johann I. von Pfalz-Zweibrücken ließ die Quelle sogar in Stein fassen – ein Beweis für die Bedeutung, die man ihr zusprach.

Kurhaus, Krugbäckerei und königliche Gäste

Im 18. Jahrhundert erlebte die Petersquelle ihre zweite Blütezeit. Markgraf Karl Friedrich von Baden erkannte den Wert des Ortes und ließ ein stattliches Kurhaus errichten – drei Etagen, Mansardenzimmer, Küche, Bäder und sogar eine eigene Krugbäckerei. Die Besucher kamen aus ganz Europa. Fürsten, Adelige und Heilungssuchende flanierten durch die Pappelallee, tranken das eisenhaltige Wasser und ließen sich vom „Geschenk der Natur“ verwöhnen.

Der Ruf der Petersquelle reichte bis nach Übersee. Das Wasser wurde in Tonkrügen mit Pechversiegelung verschickt, um möglichst sprudelnd und frisch zu bleiben. Ein Gut, so wertvoll, dass es wie Gold behandelt wurde. Und das alles aus einem kleinen Ort im Hunsrück, kaum acht Kilometer von meiner Kindheitswelt entfernt.

Kriege, Verfall und der Dornröschenschlaf

Doch wie so oft in der Geschichte machte der Lauf der Zeit keinen Halt. Der Französischen Revolution folgte die Besetzung durch französische Truppen. 1794 kam das Ende des Badebetriebs, das Kurhaus wurde 1809 versteigert und nach und nach abgerissen. Übrig blieb eine Quelle – vergessen, verwildert, verwunschen.

Und doch blieb sie. In den Herzen der Menschen. In den Erzählungen der Großeltern, im stillen Wissen der Einheimischen. Manche holten sich weiterhin Wasser, andere kamen nur zum Verweilen. Doch ein offizieller Kurbetrieb fand nicht mehr statt.

Ein Aufleben im Kleinen – Heimatpflege in den 1920ern

In den 1920er Jahren wurde der Hambacher Sauerbrunnen freigelegt und gesichert. Es war die Zeit der Heimatpflege, der Rückbesinnung auf das Ursprüngliche. Einheimische machten sich an die Arbeit, nicht um einen Kurort wiederzubeleben, sondern um einen Ort des Erinnerns zu bewahren. Fotos aus dieser Zeit zeigen Spaziergänger, Wanderer, Kinder mit Strohhüten – und die schlichte Inschrift „Petersquelle“ über einem kleinen Brunnenhäuschen.

Eine Pension Rudy gab es sogar. 1961 war sie in Betrieb – vielleicht haben meine Eltern dort einmal eingekehrt, vielleicht wurde dort ein Stück Kuchen gegessen, den ich heute noch schmecke, ohne ihn je benennen zu können.

Geologie trifft Geschmack: Das Wasser der Petersquelle

Das Wasser der Petersquelle gehört zu den sogenannten Sauerbrunnen – natürliche Kohlensäurequellen, gespeist aus dem Gestein des Devonzeitalters. Kohlensäure, Eisen, Magnesium, Calcium und Natrium – eine mineralische Wucht, die man heute als „eisenhaltiges Säuerling-Mineralwasser“ bezeichnen würde.

Damals sprach man von „Lebenswasser“. Ärzte der frühen Neuzeit empfahlen es gegen allerlei Beschwerden – von Verdauungsproblemen bis zur „Schwermut“. Heute weiß man: Es war sicher nicht alles wissenschaftlich haltbar, aber die Wirkung auf Körper und Seele – die war echt. Ein Schluck Heimat.

Ein neues Leben im 21. Jahrhundert

2015 wurde die Petersquelle umfassend restauriert. Mit Hilfe von EU-Mitteln, regionalem Engagement und einer Liebe zur Geschichte wurde der Platz neu gestaltet. Informationstafeln, ein kleiner Pavillon, Wasserspiele und ein Spielplatz – die Quelle ist heute wieder ein Ausflugsziel. Nicht mehr elitär, nicht mehr mondän – sondern offen, herzlich, heimatlich.

Wanderer auf der Traumschleife „Zauberwald“ kommen vorbei, Familien machen Picknick, Kinder planschen mit dem klaren Wasser. Und irgendwo steht vielleicht ein älterer Herr, schaut auf die Quelle und denkt: „Hier waren wir früher immer mit dem Käfer.“

Erinnerungen, die nie versickern

Die Petersquelle ist für die Region heute mehr Denkmal als Kurort. Mehr Symbol als Wirtschaftsfaktor. Und doch ist sie ein Herzstück der Heimat. Ein Ort, der zeigt, wie viel Geschichte in einem Tropfen Wasser steckt – und wie tief sich die Wurzeln einer Landschaft in die Seelen ihrer Menschen graben können.

Sie ist kein Ort der großen Schlagzeilen. Kein Touristenziel mit Massenandrang. Aber sie lebt. In jedem, der sie kennt. In jedem, der sie je besucht hat. In jeder Erinnerung an einen Flaschenabfüllsonntag mit Familie, an den ersten Ausflug mit dem VW Käfer, an das leise Glucksen der Quelle im Schatten der Bäume.

Und wer weiß – vielleicht kehrt eines Tages wieder jemand zurück, hört das Plätschern, riecht das Eisen im Wasser und sagt:
„Hier war ich Kind. Und hier bin ich wieder daheim.“

Nach oben scrollen