
Emma Wagner richtete sich auf und wischte sich mit der rauen Handfläche den Schweiß von der Stirn. Es war Sommer 1930, und die Sonne brannte unerbittlich auf das Feld im Weidhof bei Dienstweiler nieder. Seit den frühen Morgenstunden arbeiteten sie und Julius Caspary in der Rapsernte. Das Bündeln der langen Rapshalme war schwere Arbeit, und ihre Rücken schmerzten bereits seit Stunden. Doch Pausen waren ein Luxus, den sich niemand leisten konnte.
Das Leben hier oben im Hunsrück war hart. Die Landwirtschaft ernährte kaum die Familien, jeder Tag bedeutete neue Anstrengungen und Entbehrungen. Emma dachte kurz an ihre Kinder, die zu Hause warteten. Sie hoffte, dass die Ernte gut genug sein würde, um durch den Winter zu kommen. Hunger war ihnen nicht fremd, aber jedes Jahr hofften sie aufs Neue, ihn vermeiden zu können.
Julius Caspary, der hinter ihr stand, sammelte bereits neue Bündel zusammen. Seine Hände, rau und schwielig vom ewigen Arbeiten auf dem Feld, griffen beherzt und doch sorgsam nach den Halmen. Er wusste, jeder einzelne Halm war wichtig, jeder verlorene Korn würde im Winter fehlen.
Ihre Arbeit verband sie, machte sie zu stillen Gefährten im Kampf ums Überleben. Worte waren oft unnötig, sie verstanden sich auch ohne viele Worte. Es ging ums Durchhalten, um die Hoffnung, dass es eines Tages leichter werden würde. Doch jetzt, in der Hitze des Sommertages, zählte nur eines: Die Ernte musste eingebracht werden, bevor ein Gewitter oder Hagelschauer alles zunichtemachen konnte.
Emma holte tief Luft und packte entschlossen das nächste Bündel Raps. Sie wusste, das Leben war voller Entbehrungen, doch in diesen Momenten der Gemeinschaft und des gemeinsamen Ziels spürte sie auch etwas anderes: Hoffnung und tiefe Verbundenheit mit diesem Land und seinen Menschen.
Wolfgang Herfurth – 2025