Vom Römergrab zum Sprudeldorf: Die unglaubliche Geschichte von Schwollen

Dies ist einer von 30 Beiträgen über die Gemeinden der Verbandsgemeinde Birkenfeld – eine Serie, die Geschichte lebendig macht.
Es gibt Orte, die begegnen einem nicht nur auf der Landkarte – sondern im Herzen. Schwollen ist so ein Ort. Jeder in der Region scheint irgendeine Erinnerung daran zu haben. Auch ich. In den 1960er Jahren, als meine Eltern zum ersten Mal ein eigenes Auto hatten – einen knatternden VW Käfer – wurde der Schwollener Sauerbrunnen zum Sonntagsziel. Flaschen wurden gefüllt, der Kofferraum klapperte. Für uns Kinder war es ein Ausflug wie eine Reise ans Meer. Später dann, in meiner Jugend: das Schwimmbad in Schwollen – wir Jungs sind hingefahren, weil das Bad in Birkenfeld geschlossen war. Erinnerungen, die bleiben. Schwollen ist mehr als nur ein Punkt auf der Landkarte – es ist ein Stück gelebte Geschichte.
Anfänge zwischen Römerstraße und Mühlrad
Schwollen blickt auf eine bemerkenswerte Geschichte zurück. Im Waldgebiet „Auf der Heide“, an der Grenze zu Leisel, wurde ein römischer Grabfund entdeckt. Er liegt an einem alten Höhenweg und belegt die frühe Bedeutung der Region – schon die Römer zogen durch das heutige Gemeindegebiet.
Die erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1438. Im Sponheimer Gültbuch wurde „Swallen“ notiert – mit neun Haushalten und einer eigenen Mühle. Ein beachtlicher Anfang. Bis zum Dreißigjährigen Krieg wuchs die Zahl auf 31 Haushalte, ehe Kriegswirren und marodierende Truppen das Dorf verwüsteten. Nur vier Familien blieben.
Ein Dorf im Wandel der Mächte
Schwollen gehörte über Jahrhunderte zur Hinteren Grafschaft Sponheim, später zur Pflege Hambach und wurde kirchlich dem Kirchspiel Leisel zugeordnet. 1775 eskalierte ein Grenzstreit mit Heupweiler und Böschweiler – es ging um den Bezirk Kocheisborn. Auch das zeigt: Die Schwollener wussten schon früh, für ihr Land einzustehen.
Berühmt war Schwollen damals bereits für seinen Sauerbrunnen – eine Mineralquelle, deren heilende Wirkung im 16. Jahrhundert geschätzt wurde. Dr. Rieken, belgischer Hofarzt, analysierte das Wasser 1840 wissenschaftlich – ein Zeichen des überregionalen Ansehens.
Mit den französischen Revolutionstruppen kam 1794 die nächste Wende. Schwollen wurde Teil des Saardépartements, ab 1817 gehörte es zum oldenburgischen Fürstentum Birkenfeld – ein Unikum im Westen Deutschlands. Erst 1937, durch das Groß-Hamburg-Gesetz, wurde Schwollen preußisch. Seit 1946 ist es Teil von Rheinland-Pfalz.

Wachstum, Auswanderung, Heimkehr
Nach dem Krieg brauchte Schwollen Zeit zum Aufblühen. 1790 lebten knapp 200 Menschen hier, 1835 schon 358. Doch viele zog es später in die Ferne – in die Städte, nach Amerika. 1905 zählte man 312 Einwohner. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg: 389.
Nach 1945 kamen Heimkehrer und Flüchtlinge, der Bevölkerungsstand normalisierte sich: 388 Menschen 1950. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung wuchs das Dorf weiter – 450 Menschen 1961, 511 im Jahr 1997. Heute liegt die Einwohnerzahl bei rund 450.
Religiös blieb Schwollen evangelisch geprägt: 1923 waren von 315 Einwohnern 302 evangelisch, 12 katholisch, 1 israelitisch. Heute gehören die Evangelischen zur Kirchengemeinde Leisel, die wenigen Katholiken zum Pfarrverband. Jüdisches Leben ist nicht mehr präsent.
Ein Dorf hält zusammen: Vereine und Feste
Wer Schwollen verstehen will, muss das Vereinsleben kennen. Seit 1977 prägt der Heimat- und Verschönerungsverein das Dorf – mit Brunnenfest, Theaterabenden, einem Weihnachtsmarkt im Advent. Gemeinschaft wird hier gelebt.
Der Sportverein Schwollen, in SG mit Niederhambach, ist stolz auf seine Jugendarbeit. Das Sportfest zieht viele Gäste an – finanziell gestützt vom Förderverein. Auch die Freiwillige Feuerwehr spielt eine zentrale Rolle – im Schutz, wie beim Kerwe-Umzug.
Und dann ist da noch die Interessengemeinschaft Fischweiher, die das kleine Naherholungsgebiet am Schwollbach pflegt – mit Angeltagen und Naturerlebnissen für Kinder. Schwollen wurde für sein Engagement mehrfach im Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ ausgezeichnet.
Sprudel und Stolz: Die Wirtschaftskraft Schwollens
Trotz seiner ländlichen Lage hat Schwollen mehr Arbeitsplätze als Menschen im erwerbsfähigen Alter. Zwei Brunnenbetriebe sind das Rückgrat:
Schwollener Sprudel
1929 gegründet von Karl-August Frühauf und Hugo Kissel. Sie füllten Wasser in Flaschen, lieferten mit dem Ford-Lastwagen aus. Nach dem Krieg folgte 1953 der Neubau – noch heute Firmensitz. In dritter Generation geführt, produziert das Unternehmen rund 100 Millionen Flaschen jährlich mit etwa 100 Mitarbeitenden.
Hochwald Sprudel
Ebenfalls 1953 gegründet – von Reinhard Schupp. Das Unternehmen erschloss neue Quellen, übernahm 2005 die Diamant-Quelle. Heute Teil einer Unternehmensgruppe mit über 200 Mitarbeitenden – und ein bedeutender Arbeitgeber in der Region.
Beide Betriebe unterstützen das Dorf – finanziell, gesellschaftlich, kulturell.
Bäcker, Brandschutz, Bank auf Rädern
Neben den Sprudeln: über 30 Gewerbe. Die Bäckerei Hofmann verkauft auch Waren des täglichen Bedarfs. Es gibt ein Landgasthaus Böß, eine Brandschutzfirma, eine Designagentur, mehrere landwirtschaftliche Betriebe.
Metzgerei- und Gemüsewagen halten regelmäßig auf dem Dorfplatz. Ein fahrender Sparkassenbus bringt Bankdienstleistungen ins Dorf. Für größere Einkäufe fahren die Menschen nach Birkenfeld oder Idar-Oberstein – zehn Minuten mit dem Auto.

Ein Dorf für alle Generationen
1937 baute Schwollen ein Freibad – für ein Dorf dieser Größe ungewöhnlich früh. Heute ist es modernisiert, mit Edelstahlbecken und Waldlage – ein Magnet für die Region. Ich selbst habe dort heiße Sommertage verbracht, als das Birkenfelder Bad geschlossen war. Ein Ort voller Erinnerungen.
Hinzu kommen: Kindergarten, Spielplätze, Bolzplatz. Die Straße „Am Sauerbrunnen“ wurde saniert, ebenso der angrenzende Dorfplatz. Die Anbindung: über die B269 und Bahnhof Kronweiler – 9 km entfernt. Schwollen investiert – in sich selbst.
Erholung, Tourismus und ein Leuchtturmprojekt
Als Nationalparkgemeinde liegt Schwollen am Rand des Nationalparks Hunsrück-Hochwald. 63 % der Fläche sind bewaldet. Wanderwege wie der Sirona-Weg, Routen der VG Birkenfeld, und die Fischweiher mit Grillhütte laden zur Erholung ein.
Ein Leuchtturmprojekt: Der Schwollbachhof, Umbau der ehemaligen Pension Manz. Federführend ist Louisa Manz, Tochter von Staatssekretär Dr. Erwin Manz. Bis 2025 entsteht ein Gästehaus mit Begegnungsstätte – direkt im alten Ortskern. Ein neues Kapitel für Schwollen – mit Wurzeln in der Vergangenheit.
Politik mit Bodenhaftung und Köpfe mit Weitblick
Heiko Herber ist seit 2014 Ortsbürgermeister, 2019 und 2024 wiedergewählt. Der Gemeinderat besteht aus neun Ehrenamtlichen plus Bürgermeister – parteiübergreifend und projektorientiert.
Persönlichkeiten wie Dr. Erwin Manz, heute Staatssekretär, zeigen, dass Schwollen auch überregional Einfluss hat. Die Unternehmerfamilien Frühauf und Schupp engagieren sich sozial. Und Werner Müller schrieb 2022 die Chronik Schwollens – 420 Seiten Heimatkunde, gefeiert als „Sprudelort-Chronik“.
Fazit: Schwollen – ein Dorf, das verbindet
Schwollen ist mehr als Geschichte – es ist Gefühl. Zwischen Sauerbrunnen und Sirona-Weg, zwischen Bäckerduft und Brunnenfest, zwischen Wirtschaftskraft und Waldstille zeigt Schwollen, wie lebendig Heimat sein kann. Und für viele – mich eingeschlossen – bleibt es ein Ort der Erinnerungen, Erlebnisse und Emotionen.
Wolfgang Herfurth – Januar 2025