Revolution, Weltkriege und Weltrekorde
Das unglaubliche Vermächtnis des TV 1848 Birkenfeld



Ein Beitrag von Wolfgang Herfurth, Urenkel von Adolf Herfurth
1848. Europa brennt. In Frankfurt tagt das erste deutsche Parlament, Barrikadenkämpfe toben in Berlin, Wien und Paris – und auch in der Provinz Birkenfeld weht der Wind der Revolution.
Inmitten dieser bewegten Zeit gründet ein junger Sergeant eine Turngesellschaft. Georg Friedrich Karl Bapp, 24 Jahre alt, ruft im Amtsblatt des Fürstentums dazu auf, sich dem neu entstehenden Verein anzuschließen. Seine Worte:
„Da sich jetzt auch hier eine Turngesellschaft gegründet hat, so ersuche ich diejenigen, welche Lust haben, sich diesem schönen Verein anzuschließen, sich baldigst bei mir melden zu wollen. […] Der Turnwart Bapp, Sergeant – 18. Sept. 1848.“
Mit dieser Veröffentlichung im „Stadt- und Landboten“ beginnt die Geschichte des Turnvereins 1848 Birkenfeld e.V. – heute der älteste und größte Sportverein der Stadt. Über 1.400 Mitglieder, ein Sportangebot für Jung und Alt, und ein unvergleichlicher Weg durch 175 Jahre Zeitgeschichte.
Und für mich, als Urenkel von Adolf Herfurth, ist es mehr als nur eine Geschichte – es ist mein Erbe.
Ein Verein als Spiegel der Gesellschaft
Was 1848 als Ausdruck von Freiheitsdrang beginnt, wird bald zum festen Bestandteil bürgerlicher Kultur. Doch das Aufbäumen der Revolution ist schnell unterdrückt – in den 1850er Jahren versiegt das Vereinsleben, Bapp verlässt die Stadt.
Erst 1860, in einer liberaleren Phase, formiert sich der Verein neu. Peter Kunz, Steuer-Rezeptor, übernimmt das Ruder. Bereits 1861 gibt es eine neue Fahne, 1863 wird das Westricher Gauturnfest in Birkenfeld ausgerichtet. Als 1870/71 der Krieg kommt, helfen die Turner bei der Versorgung durchziehender Truppen.
Aber 1877: Stillstand. Der Verein ruht erneut – für sechs Jahre.
1883 – Das Erwachen und die Ära Herfurth
Der Kirchenrat Friedrich Wilhelm Lueg haucht dem Verein 1883 neues Leben ein. Zwei Jahre später übernimmt mein Urgroßvater: Adolf Herfurth, Gymnasiallehrer.
Und er prägt den Verein für ein Vierteljahrhundert.
Von 1885 bis 1912 führt er den TVB – 27 Jahre ununterbrochen, aktiv, prägend.
Die längste durchgehende Vorsitzzeit der Vereinsgeschichte.
Seine Leistungen:
- 1886: Stiftungsfest mit Gauturnfest (vermutlich zum 40-jährigen Bestehen)
- 1889: Neue Vereinsfahne
- 1894, 1900, 1911: Weitere Gauturnfeste in Birkenfeld
- 1911: 25-jähriges Amtsjubiläum, feierlich begangen – Ernennung zum Ehrenvorsitzenden
1912 tritt Herfurth aus gesundheitlichen Gründen zurück – doch sein Name bleibt bis heute untrennbar mit dem Verein verbunden.
Erster Weltkrieg, Heimatdichter und Inflation
Nach Herfurth kommt 1912 Karl Ohlenbusch, Regierungsrevisor. 1913 folgt Richard Bäuchle, Buchdrucker und Dichter – nach ihm ist heute eine Straße benannt.
Doch 1914 beginnt der Erste Weltkrieg. Das Vereinsleben bricht ein. 1915 wird der Sportbetrieb komplett eingestellt. Erst 1919 erwacht der Verein – zunächst unter Herfurths kommissarischer Leitung – wieder.
Albert Zorn, Stadtinspektor, übernimmt im April 1919. Doch die Nachkriegszeit ist hart: Inflation, Besatzung, beschlagnahmte Hallen.
1920–1927: Fusion mit dem örtlichen Fußballclub – ein Zweckbündnis, das 7 Jahre hält.
Zorn übergibt 1924 an Otto Crummenauer, Sparkassendirektor – ein Mann, der die nächsten 26 Jahre Vereinsgeschichte prägt.
Crummenauer, Jahnturnhalle und NS-Zeit
1928 wird sie eröffnet: Die Jahnturnhalle, bis heute bekannt, damals Symbol für Stärke.
Crummenauer bleibt bis 1950 offiziell im Amt. Doch ab 1941/42 endet seine aktive Führung – vermutlich durch NS-Zwang.
1933 wird er zum „Vereinsführer“ umdeklariert – die Gleichschaltung macht auch vor dem TVB nicht Halt. Und am 1. April 1937 – ein bitterer Tag – wird das Fürstentum Birkenfeld unter Hakenkreuzfahnen in der Jahnturnhalle an Preußen übergeben.
Von 1939 bis Anfang 1950 ruht der Verein faktisch.
Der Wiederaufbau – Carl Schley und die 1950er
Januar 1950: Die Wiedergründung.
Carl Schley, früherer Amtsbürgermeister, übernimmt. Von den Nazis 1942 zwangspensioniert, bringt er Stabilität zurück.
- 1951: Erste Götzwanderung
- Später: Ehrenmitglied, Ehrenvorsitzender
Wachstum, Weichenstellungen, neue Wege
1962–1983: Heinz Rauwolf, Kreisangestellter, Sudetendeutscher.
Sanierung der Halle, Neugestaltung des Jahnsportplatzes, Mitgliederwachstum – Ehrenvorsitz 1983.
1983–1986: Johannes Stöber, Pädagoge.
Gründet Herzsportgruppen und Radsport, initiiert Leichtathletikanlagen am Stadion „Am Berg“.
1986–1991: Dr. Werner Schwarz, Gymnasiallehrer.
Leitet Verkauf von Jahnturnhalle & -sportplatz an Stadt ein, forciert Neubau mit SC Birkenfeld, feiert 140-jähriges Jubiläum.
Verstirbt 1991 unerwartet.
Moderne Vereinsführung (1991–heute)
1991–2001: Peter Nauert, später Stadtbürgermeister.
Organisatorisch und sportlich modernisiert er den Verein, Mitgliederzahl überschreitet erstmals 1.000.
Leitet 150-Jahr-Feier 1998, wird Ehrenvorsitzender.
2001–2015: Wolfgang Bohrer, Kreisangestellter.
Leitet Vereinsgaststätte in Eigenregie, Mitgliederrekord mit 1.422, Ehrenmitglied.
Seit 2015: Hans-Peter Lampel, Beamter, Ex-Handballer.
Führt den Verein durch die Pandemie, stabilisiert Mitgliederstand (rund 1.400), leitet 175-Jahr-Feier 2023.
Große Namen, große Erfolge
- Otmar Seul: 1961 erster Rheinlandmeister (400m A-Jugend), 2019 Vize-Weltmeister M75 im Crosslauf
- Peter Mirkes: Zwischen 1977–1995 15x Gold bei EM/WM der Senioren, 4x Weltmeister 1987 in Melbourne (mit 4 Weltrekorden!)
- Dr. Eric Gauthier Janicaud: Weltmeister 1999 (4×400m M80), zahlreiche EM-Titel
Und:
- Damen-Handball: Aufstieg Verbandsliga (ca. 2014)
- Tischtennis: mehrere Teams bis Bezirksoberliga
- Leichtathletik: LAZ Birkenfeld (seit 2008), zahlreiche Titel
- Gerätturnen: Erfolge bis Landesebene
Heute: Vielfalt, Engagement und Stolz
Der TVB ist ein moderner Mehrspartenverein. Hauptabteilungen:
- Turnen/Gymnastik
- Leichtathletik
- Handball
- Tischtennis
- Radsport
Weitere Gruppen:
- Badminton, Boule, Cheerleading, Rope Skipping, Tanz, Fitness, Skisport, Reha-/Gesundheitssport
- Über 550 Kinder & Jugendliche, insgesamt rund 1.400 Mitglieder
Dazu: Stadtfeste, Familienwanderungen, die Vereinszeitschrift „Mosaik“ (seit 1980), Festschriften zu 125, 150, 175 Jahren.
175 Jahre TV Birkenfeld – Ein Verein, der Geschichte schreibt
15. & 16. Juli 2023: Das große Jubiläum.
Motto: „Wir vereinen Tradition und Bewegung.“
Mitmachangebote, Sportturniere, Festkommers, Ehrungen langjähriger Mitglieder.
Die Rhein-Zeitung schreibt:
„Ein Aushängeschild für Birkenfeld – und immer noch sehr vital.“
Fazit
Der TV 1848 Birkenfeld ist mehr als ein Verein.
Er ist eine Konstante in bewegten Zeiten. Ein Ort, an dem Menschen über Generationen hinweg Heimat finden.
Und für mich, als Urenkel von Adolf Herfurth, ist es bewegend zu sehen, wie sehr sein Lebenswerk heute noch spürbar ist.
27 Jahre lang trug er den Verein durch Blüte, Wandel und Aufbau. Und sein Geist lebt weiter – in jeder Trainingseinheit, in jeder Fahne, in jeder Geschichte, die hier geschrieben wird.
175 Jahre TV Birkenfeld – und kein Ende in Sicht.
Die Vorsitzenden des TVB :
1. Georg Friedrich Karl Bapp
🕒 Amtszeit: 1848–ca.1860
🧑💼 Beruf: Sergeant
📌 Besonderheiten: Gründer des Vereins
2. Peter Kunz
🕒 Amtszeit: 1860–1883
🧑💼 Beruf: Steuerrezeptor
📌 Besonderheiten: Belebte den Verein neu
3. Friedrich Wilhelm Lueg
🕒 Amtszeit: 1883–1885
🧑💼 Beruf: Kirchenrat
📌 Besonderheiten: Gründung einer Turnerfeuerwehr
4. Adolf Herfurth
🕒 Amtszeit: 1885–1912
🧑💼 Beruf: Gymnasiallehrer
📌 Besonderheiten: 27 Jahre Vorsitzender, 1911 Ehrenvorsitzender
5. Karl Ohlenbusch
🕒 Amtszeit: 1912–1913
🧑💼 Beruf: Regierungsrevisor
📌 Besonderheiten: Gründete Knabenabteilung
6. Richard Bäuchle
🕒 Amtszeit: 1914–1915
🧑💼 Beruf: Buchdrucker, Heimatschriftsteller
📌 Besonderheiten: Erster Weltkrieg unterbrach Vereinsbetrieb
7. Albert Zorn
🕒 Amtszeit: 1919–1924
🧑💼 Beruf: Stadtinspektor
📌 Besonderheiten: Wiederaufnahme nach dem Krieg
8. Otto Crummenauer
🕒 Amtszeit: 1924–1939
🧑💼 Beruf: Sparkassendirektor
📌 Besonderheiten: Bau der Jahnturnhalle 1928
9. Carl Schley
🕒 Amtszeit: 1950–1962
🧑💼 Beruf: Amtsbürgermeister a.D.
📌 Besonderheiten: 1951 Ehrenmitglied, 1962 Ehrenvorsitzender
10. Heinz Rauwolf
🕒 Amtszeit: 1962–1983 – Ehrenvorsitzender
🧑💼 Beruf: Kreisangestellter
📌 Besonderheiten: 21 Jahre Vorsitzender, 27 Jahre im Vorstand
11. Johannes Stöber
🕒 Amtszeit: 1983–1986
🧑💼 Beruf: Fachlehrer
📌 Besonderheiten: Initiator von Koronarsport- und Radsportgruppe
12. Dr. Werner Schwarz
🕒 Amtszeit: 1986–1991
🧑💼 Beruf: Oberstudienrat
📌 Besonderheiten: Verkauf des Jahnsportplatzes, Neubauplanung
13. Peter Nauert
🕒 Amtszeit: 1991–2001
🧑💼 Beruf: Oberamtsrat
📌 Besonderheiten: Sanierung Jahnturnhalle, seit 2002 Ehrenvorsitzender
14. Wolfgang Bohrer
🕒 Amtszeit: 2001–2015 – Ehrenmitglied
🧑💼 Beruf: Kreisangestellter
📌 Besonderheiten: Mitgliederwachstum, Vereinsgaststätte in Eigenregie
15. Hans-Peter Lampel
🕒 Amtszeit: seit 2015
🧑💼 Beruf: Beamter der Bundeswehrverwaltung
📌 Besonderheiten: Langjähriger Handballer und Koordinator
Wolfgang Herfurth – April 2025