Als das Leben noch nach Kiefern roch – Kindheitserinnerungen aus dem Schönewald

In einer Zeit, als das Rascheln der Baumwipfel noch das Radio ersetzte und das Wort „Event“ noch nicht erfunden war, lag im Schönewald bei Birkenfeld ein Ort voller Zauber – das Waldfest. Wer dort einmal Kind war, weiß: Diese Sommertage waren kein normales Fest. Sie waren ein Gefühl. Ein Stück Geborgenheit im grünen Kleid.

Ein Wald, ein Fest, ein Gefühl – Erinnerungen, die bleiben

Was heute nostalgisch anmutet, war damals gelebte Realität. Die Menschen kamen nicht wegen des Programms, sondern wegen des Zusammenkommens. Der Waldboden war Bühne, Wohnzimmer und Spielplatz zugleich. Kinder in kurzen Hosen und Kniestrümpfen rannten durch das Unterholz, trugen Jutesäcke beim Hüpfen über die Lichtung und riefen „Ich bin Erster!“, ohne dass jemand von Preisen sprach.

Es war ein Erlebnis für alle Sinne. Bratwurstduft mischte sich mit dem harzigen Geruch der Kiefern, während irgendwo ein Akkordeonspieler das „Westerwaldlied“ anstimmte. In der Luft lag die Mischung aus Holz, Heiterkeit und dem klirrenden Klang von Glasflaschen, die in Holzkisten neben dem Bierstand auf ihre Rückgabe warteten.


Der Zeitgeist der 50er und 60er: Zwischen Wiederaufbau und Waldfreude

Die Nachkriegszeit hatte Spuren hinterlassen, auch im ländlichen Raum. Doch gerade deshalb wirkten Feste wie das im Schönewald wie eine kollektive Therapie. Die Menschen hatten wenig – aber sie hatten einander. Und das Waldfest war ein Ort, an dem Unterschiede für einen Moment verschwanden.

Männer in Anzughosen, aber ohne Krawatte, rauchten filterlose Zigaretten und prosteten sich mit Exportbier zu. Frauen mit Dauerwelle und geblümtem Kleid reichten Hefekuchen und schauten ihren Kindern beim Sackhüpfen zu. Es war eine Generation, die sich Würde und Fröhlichkeit nicht nehmen ließ – auch wenn der Kühlschrank leer war.


Die Magie der einfachen Dinge

Die Attraktionen? Ein Karussell mit drei Pferden. Ein Losstand mit kleinen Plastikflöten. Und der unvermeidliche Schießstand, bei dem man mit Glück eine Porzellantasse gewann. Keine LEDs, kein Influencer-Auftritt, keine Werbebanner. Dafür aber das ganz große Kino im Kopf.

Wer heute durch den Schönewald spaziert, kann sich kaum vorstellen, dass genau hier einst ein Stück Sozialgeschichte geschrieben wurde. Ein Ort, an dem Generationen lachten, flirteten, tanzten, und manchmal auch einfach nur zusammen schwiegen.


Kindheit auf dem Fußweg: 20 Minuten in die Freiheit

Nicht selten begann das Abenteuer schon vor dem Festplatz. Der Fußweg aus Birkenfeld in Richtung Schönewald war für viele Kinder das erste kleine Abenteuer in Freiheit. Ohne Handy, ohne GPS – nur mit dem festen Glauben, dass man den Weg kennt. Und dem noch festeren Glauben, dass die Musik irgendwann zwischen den Bäumen zu hören sein würde.

„Ich erinnere mich, wie ich allein loszog – die Straße entlang, durch das Dorf, über den Waldweg. Dann sah ich den ersten Stand, hörte die Musik… und wusste: Ich bin angekommen.“ – Diese Worte könnten von jedem stammen, der dort Kind war. Und sie alle beschreiben dasselbe Gefühl: Ankommen in der eigenen Welt.


Gesichter einer anderen Zeit

Die alten Fotos erzählen mehr als Worte. Der Blick eines Vaters, der seinen Sohn beim Hüpfen anfeuert. Die gelöste Miene einer Frau, die gerade einen Preis beim Schätzspiel gewonnen hat. Ein Pärchen, Hand in Hand, auf dem Rückweg in die Stadt – mit dem warmen Gefühl im Bauch, das nur solche Tage hinterlassen.

Diese Bilder sind keine Postkartenidylle. Sie sind Dokumente einer Zeit, in der Gemeinschaft nicht gepredigt, sondern gelebt wurde. In der man den Nachbarn kannte – und seinen Kindern erlaubte, allein durch den Wald zu gehen, weil man wusste: Am Festplatz sind sie nicht allein.


Was bleibt, wenn das Licht ausgeht

Heute ist das Waldfest Geschichte. Vielleicht wird es irgendwann wiederbelebt. Vielleicht bleibt es einfach ein kollektives Echo in den Köpfen derer, die dort ihre Kindheit verbrachten. Doch eins ist sicher:

Der Geist dieses Festes lebt weiter. In den Erzählungen. In den Bildern. Und im Gefühl, dass es einmal einen Ort gab, an dem alles gut war – zumindest für einen Tag.

Denn manchmal reicht ein Foto, ein Lied oder der Duft von Harz, um die Tür zur Vergangenheit ein Stück weit zu öffnen. Und plötzlich steht man wieder da: Mit staubigen Knien, klebrigen Fingern vom Lutscher und dem festen Glauben, dass der Sommer niemals enden wird.


Fazit:
Das Waldfest im Schönewald war nicht nur ein Fest – es war ein gelebter Zeitzeuge. Es steht sinnbildlich für eine Epoche, in der Gemeinschaft, Einfachheit und echte Freude den Takt vorgaben. Wer sich heute daran erinnert, tut mehr als in Erinnerungen zu schwelgen – er bewahrt ein Stück Seele einer Generation.

Wolfgang Herfurth – Mai 2025

Nach oben scrollen