Zwischen Garben und Geschichte – Frauenalltag auf der Dorfwiese von Leisel, 1941

Ein Moment bäuerlicher Realität inmitten des Krieges

Ein altes Schwarzweißfoto, aufgenommen 1941 in Leisel, einem kleinen Ort im Hunsrück. Zu sehen sind zwei Frauen, Ida und Paula Köhler, beim Garbenbinden auf der sogenannten „Dorrwiese“. Sie hocken gebeugt im kniehohen Korn, bündeln das Getreide per Hand – mit Blicken voller Konzentration, vielleicht auch mit einem Hauch von Erschöpfung oder stiller Zufriedenheit.

Dieses Bild erzählt eine Geschichte. Keine erfundene, sondern eine, wie sie sich in unzähligen ländlichen Gemeinden Deutschlands während des Zweiten Weltkriegs abspielte.


Der historische Kontext: Arbeit statt Waffen

1941 – Deutschland steckt mitten im Krieg. Die Fronten verschlingen Männerleben, und auf dem Land übernehmen Frauen, Jugendliche und Ältere die Rolle der Versorger. In vielen Dörfern ist das tägliche Leben geprägt von harter körperlicher Arbeit, Mangelwirtschaft und der Ungewissheit über die Zukunft.

Trotzdem geht das bäuerliche Leben weiter – saisonal, rhythmisch, fast stoisch. Die Ernte muss eingebracht werden, egal was draußen in der Welt passiert. Getreide wird gebunden, aufgestellt, getrocknet. So wie es schon Generationen zuvor getan haben.


Entbehrung – und doch: gelebte Heimat

Die beiden Frauen auf dem Bild sind Teil dieser stillen Widerständigkeit des Alltags. In ihrer einfachen Kleidung, mit Kopftuch und geschickten Händen, spiegeln sie die Realität zahlloser Bäuerinnen wider. Der Ausdruck in ihren Gesichtern ist ruhig, konzentriert – keine Pose, keine Inszenierung.

Doch was auf den ersten Blick wie reine Mühsal wirkt, ist auch Ausdruck von Würde. Trotz Rationierung, trotz des Mangels an Werkzeug und Helfern, trotz Angst und Sorge um die Männer im Krieg – das Leben auf dem Land war nicht nur Leid. Es bot Momente des Innehaltens, des Stolzes, des natürlichen Daseins.


Tradition als Anker

Das Garbenbinden war nicht nur Notwendigkeit, sondern auch ein tief verwurzelter Bestandteil der dörflichen Kultur. Wissen wurde von Generation zu Generation weitergegeben – in der Technik, im Umgang mit den Jahreszeiten, in der Pflege des Bodens. Das Bild dokumentiert genau diesen kulturellen Schatz, der in Zeiten des Umbruchs Halt bot.

Es ist daher weit mehr als nur ein nostalgisches Foto. Es ist Erinnerung. Es ist Mahnung. Und es ist eine stille Würdigung derer, die – fernab von Politik und Propaganda – die Lebensgrundlagen einer Gesellschaft aufrechterhielten.


Ein stilles Glück

Vielleicht – so möchte man hoffen – empfanden Ida und Paula auch Glück in diesem Moment. Kein lautes, triumphales Glück, sondern ein stilles: Die Wärme der Sonne im Gesicht, den Duft des Getreides, das Wissen, gebraucht zu werden.

Und vielleicht liegt darin eine wichtige Lehre für unsere Zeit: Dass selbst unter widrigsten Umständen Würde, Gemeinschaft und Naturverbundenheit Quellen innerer Stärke sein können.


Ergänzende Einblicke

1. Die Rolle der Frau in der NS-Zeit auf dem Land

Während der NS-Zeit wurde die Rolle der Frau ideologisch auf Heim und Familie reduziert. In der landwirtschaftlichen Realität jedoch trugen Frauen die Hauptlast – vor allem, als ab 1939 ein Großteil der Männer an der Front stand.

Frauen bestellten die Felder, versorgten das Vieh, führten den Hof und hielten Familien zusammen. Organisationen wie der Reichsnährstand versuchten, diese Arbeit propagandistisch zu vereinnahmen, doch das tägliche Überleben wurde nicht durch Parolen, sondern durch praktisches Wissen, Ausdauer und Verantwortung gesichert.


2. Techniken des Garbenbindens – Handwerk mit Rhythmus und Sinn

Garbenbinden war eine zentrale Technik der traditionellen Getreideernte. Nach dem Mähen mit der Sense wurde das Korn händisch zu Bündeln – den sogenannten Garben – zusammengerafft. Diese wurden mit einem Strohband aus eigenem Material gebunden und zu Trockengruppen („Hocken“) aufgestellt.

Das richtige Binden erforderte Geschick, denn nur fest gebundene Garben trockneten gleichmäßig. Diese Arbeit war körperlich anstrengend, aber auch ritualisiert – eingebettet in das Wissen der Jahreszeiten, in Gemeinschaft und Rhythmus.


3. Erinnerung heute – Warum solche Bilder wichtig sind

Solche Fotos sind keine bloßen Zeitzeugen. Sie tragen Geschichte in sich – nicht in Zahlen oder Strategien, sondern im gelebten Alltag.

Sie zeigen das Unspektakuläre, das dennoch überlebenswichtig war: Arbeit, Verantwortung, Pflege der Lebensgrundlagen. Und sie geben den oft namenlosen Frauen des ländlichen Raumes ein Gesicht, ein Gewicht, eine Stimme.

In einer Zeit, in der viele alte Techniken verschwinden und das Bewusstsein für landwirtschaftliche Kulturgeschichte schwindet, sind solche Dokumente essenziell. Sie laden uns ein, nicht nur zu erinnern – sondern zu würdigen, weiterzugeben und neu zu erzählen.

Wolfgang Herfurth – Juni 2025

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